Geschwister Pfister – Home, sweet home – 14.10.2007 – Bonn
Jo Roloff Trio
Pantheon, Bonn
Die Pfisters waren wieder da! Nach ihrer glorreichen Abschiedstournee im Jahr 2004, waren sie im letzten Jahr plötzlich wieder aufgetaucht. Das legte die Vermutung nahe, dass sie sich damals gar nicht ernsthaft verabschiedet, sondern nur eine Abschieds-Show gespielt hatten.
Die Geschwister Pfister hatten eine etwas komplizierte Geschichte. Toni, Ursli, Willi und Lilo Pfister zogen nach dem frühen Tod der Mutter als Waisen aus der Schweiz nach Amerika. Dort machte ihr Onkel Bill sie zu Showstars. Sie kehrten zu einer Tournee nach Europa zurück, Willi und Lilo zogen sich irgendwann aus dem Showgeschäft zurück, Toni lernte Fräulein Schneider aus Bulgarien kennen, heiratete sie und jetzt waren Toni, Ursli und Fräulein Schneider die “Geschwister Pfister”.
Die drei Persönlichkeiten waren sehr unterschiedlich und passten doch harmonisch zusammen. Toni Pfister war der korrekte, zurückhaltende Schweizer, der ruhig und mit leichtem Schweizer Akzent sprach. Fräulein Schneider war eine selbstbewusste, standfeste Osteuropäerin, die mit starkem bulgarischen Akzent die Vokale zog und eine sehr mütterliche, aber auch erotische Ausstrahlung hatte. Und Ursli Pfister war lebhaft, lasziv, selbstverliebt und exzentrisch und sprach, da er schon als Dreijähriger nach Las Vegas gekommen war, nur gebrochen Deutsch und vorwiegend Englisch. Dazu hatte er einen umwerfenden Sexappeal, der sowohl Frauen, als auch Männer ansprach. Was für eine Konstellation! Aber so rund und überzeugend, dass es schwerfiel, die Familiengeschichte anzuzweifeln und Darsteller hinter den Bühnenrollen zu sehen.
2004 hatte ich ihre grandiose amerikanische Abschiedsshow gesehen, die voller Glanz, Glamour und Bigband-Swing war. Erwartungsvoll saß ich nun im Bonner Pantheon und wartete auf das neue Programm. Aber das war ganz anders als ich es erwartet hatte. Diesmal ging es nämlich nicht um die Show auf der Bühne, sondern um die Wahrheit dahinter. Wobei der Blick hinter die Kulissen dann doch wieder mit Show zu tun hatte. ‘Schein und Sein’ war das Thema des Abends.
Die Bühne sah rümpelig aus, die Kulissen waren mit Tüchern abgedeckt, an der Seite stand ein Staubsauger. Etwas erschrocken bemerkte Toni Pfister das Publikum im Saal, denn er wartete auf eine angekündigte BBC-Reporterin, die eine Homestory über die Geschwister Pfister machen wollte, und er hatte nicht so viele Zuschauer zu diesem Termin erwartet. Außerdem war es eine Art “Tag der offenen Tür” und sie hatten nicht mal eine Tür auf der Bühne.
Zu seiner Beruhigung konnte er eine große Türe besorgen, die auch ein Symbol dafür war, ob man jemanden heranließ oder ausschloss, und ob man jemanden hinter die geöffnete Türe blicken ließ. Auch Fräulein Schneider und Ursli tauchten auf, wenn auch nicht ganz interviewbereit. Ursli hatte keine Lust auf eine Homestory, und Fräulein Schneider war ziemlich angeheitert.
Natürlich legten sie gleich eine musikalische Einlage hin, “Don’t stop me now” von Queen, die zuerst etwas von der Rocky Horror Picture Show hatte und dann in eine sanfte Revuenummer überging. Dazu spielten Bandleader Jo Roloff am Piano, am Bass Jürgen Schäfer und an der Gitarre Andreas David. Der Raum war sofort voll mit Musik, die drei Pfisters sangen und tanzten, und es war fast unglaublich, dass so viel gute Musik von nur sechs Leuten gemacht wurde. Sehr klasse! Aber ich wusste ja schon vorher, dass die Arrangements immer sehr gut waren und die drei Pfisters wunderbar sauber und mit sehr viel Ausdruckskraft sangen. Manchmal setzten auch Gitarrist und Bassist im Background ein und verstärkten den Gesang um zwei weitere, kräftige Stimmen.
Auf der Bühne gab es Fragen. Wenn es eine Homestory geben sollte, was war dann eigentlich ‘Home’? War ‘Home’ da, wo man aufgewachsen war? Fräulein Schneider erinnerte sich an eine bulgarische Fruchtbarkeitsfeier, deren Lied sofort gesungen wurde. Ich habe keine Ahnung, ob das wirklich bulgarisch war, aber die lauten, klaren Stimmen, die typisch osteuropäischen Harmonien und die Ernsthaftigkeit, mit der inbrünstig gesungen und ruhig getanzt wurde, waren sehr beeindruckend.
Gleich danach erinnerten sich Ursli und Toni an ihre Jugend und sangen und tanzten ein Schweizer Volkslied. Aber waren die Kindheitserinnerungen an ‘Home’ nicht oft große Enttäuschungen, fragte sich Ursli danach. “Home ist immer hier und jetzt”, behauptete er.
Immer wieder wurde es ernst und ruhig im Stück, und es war mehr ein Theaterstück oder sogar ein Kammerspiel mit Musik, als eine typische Show. Es blieb aber auch an den ruhigen Stellen durchgehend spannend. Als sich herausstellte, dass die heile Pfister-Familie gar nicht so heil war, stand die Frage im Raum, wer mit wem, wer wusste es, sprach man darüber oder spielte man die intakte Familie? Die Show anstelle der Wahrheit? Peinlich berührt schien jeder Bescheid zu wissen und spielte doch seine Rolle weiter.
Sehr berührend eine Szene, in der Ursli nach den Spannungen in der Gruppe alleine blieb, und die anderen plötzlich wiederkamen und die Gemeinschaft wiederherstellten. Dazu das Lied “Close to you”, das sowieso einen hohen Schmelzfaktor hatte und wunderbar ruhige Tanzszenen – wunderschön! Auf einmal hatten sich alle wieder lieb. Oder spielten es.
Ich war begeistert von der Ernsthaftigkeit des Stückes, das bei allem Witz und allen Shownummern sehr berührend war. Die fest zusammenhaltenden Geschwister Pfister, die ich in der Abschiedsshow gesehen hatte, waren in Wahrheit gar nicht so unverbrüchlich in Liebe vereint. Das war die Show auf der Bühne. Hinter den Kulissen sah es anders aus. Zumindest in dieser Show. Aber spielte man nicht auch im Leben manchmal eine Rolle? Wo öffnete man seine eigene, private Türe und wo ließ man sie zu?
Ich fand das ganze Thema spannend. Außerdem gefiel mir die Inszenierung sehr gut. Nichts blieb auf der Bühne dem Zufall überlassen, immer wieder gab es passende Gesten und kleine Nebengags zu sehen. Und natürlich brillierten die Charaktere der drei Personen, die wirklich überzeugend spielten und auch wunderbare Shownummern brachten.
Nach der Pause wurde es noch privater, was daran zu sehen war, dass die drei Musiker in bequemen Trainingsanzügen an ihre Instrumente zurückkehrten, und die Darsteller in Schlafkleidung auf die Bühne kamen. Eine echte Homestory – privat, intim, ungeschminkt.
Wenn man schon nicht klären konnte, was ‘Home’ genau war, was war dann eigentlich Heimweh, was war Fernweh? Warum vermisst man die Heimat, wenn man in der Fremde war? Heimat hatte mit Erinnerungen zu tun. Eine der berührendsten Szenen war eine abgedunkelte Bühne, auf der ein Super-8-Film mit Filmaufnahmen aus der frühen Beziehung von Toni und Fräulein Schneider lief, und zu dem Toni Pfister, auf dem Boden vor dem Kühlschrank sitzend, sang. Wunderschön und sehr sentimental sang er “Die Tage der Liebe, sie müssen vergehen”. Der alte Projektor knatterte leise, die stummen Super-8-Bilder flackerten auf der Leinwand, und im Publikum wurde es ganz ruhig. Einfach wunderbar.
Fräulein Schneider erklärte anschließend ihre Art mit Problemen umzugehen und gab für einige Zuschauer Hochprozentiges aus.
Und dann wurde die sentimentale, brüchige, ruhige Backstageszene plötzlich zum Horror- Splattermovie. Schockierend, faszinierend und hochspannend.
“Warum das alles?” war die Schlussfrage, die Ursli Pfister mit einem Lied beantworten konnte: “I’m a broadway baby” – Ich mache alles für die Show. Schein und Sein.
Es gab ein wunderschönes, ruhiges Ende, und ich weiß, dass ich dieses Programm nicht vergessen werde, denn es war beeindruckend und sehr berührend. Tolles Thema, stark gespielt, sehr abgedreht, mit wunderbarer Musik, sehr gutem Gesang und klasse Showeinlagen.
Die Geschwister Pfister sind ganz große Kunst!