Berichte

Rainald Grebe – Volksmusik – 02.06.2007 – Bonn

Die Kapelle der Versöhnung
mit Rainald Grebe, Marcus Baumgart und Martin Brauer
Pantheon, Bonn

Rainald Grebe trat im Bonner Pantheon auf und Kenner meiner familiären Verhältnisse werden ahnen, dass ich ohne meinen Gatten in die Vorstellung ging, der – um es nett zu sagen – kein glühender Fan von Rainald-Grebe-Programmen war. Aber falsch geahnt. Mein Gatte war dabei, hatte versprochen diesmal bis zum Ende des Programmes im Saal zu bleiben und ging sogar recht aufgeschlossen an die Sache heran. Vielleicht würde er, sich am Vorbild seiner Gattin orientierend, doch noch zum entzückten Anhänger mutieren?

Die Voraussetzungen waren allerdings nicht sehr gut. “Ach, DU findest ja auch Rainald Grebe gut!” konterte mein Gatte jedes Mal, wenn ich von irgendwelchen abgedrehten Sachen erzählte, die mir gefielen und die er blöd fand, und hatte damit ein Argument zur Hand, das jede Diskussion sofort abwürgte. Immerhin hatte er Recht: Ich fand Rainald Grebe gut und ließ mich in dieser Meinung auch überhaupt nicht beirren. Ich mochte seine Art Geschichten zu erzählen und entdeckte vieles, das mich berührte, in kleinen Sätzen und in den Stimmungen, die er aufbaute. Für mich war Rainald Grebe ein sehr genauer Beobachter seiner Umwelt, der ganz leise und poetisch, aber auch einfach nur schräg und total witzig sein konnte.

An diesem Abend trat er mit der Kapelle der Versöhnung auf, Marcus Baumgart und Martin Brauer, die aus dem Solokünstler einen Künstler mit Band machten. Ich war ein wenig skeptisch. Würden ein festes musikalisches Begleitschema und starre Taktzeiten nicht die Spontaneität aus der Sache nehmen?

Aber was machte ich mir eigentlich Sorgen bei Rainald Grebe? Schon als es zu Beginn des Programmes auf der Bühne und im Saal dunkel wurde und dunkel blieb, war klar, dass der Abend nicht starr und genormt werden würde. Zum lauten Gezirpe einer Feldgrille setzten sich die drei Herren um ein fiktives Lagerfeuer und begannen dreistimmig und sogar ziemlich schön Volkslieder zu singen. Beleuchtet wurde die Szene nur von den kleinen Grubenlampen, die sie vor der Stirn hatten, und die bei den Bewegungen aufblitzend Konturen erkennen ließen.

Es war eine richtig schöne Lagerfeuerstimmung, bei der man auf einer Wiese sitzend bis zum Morgengrauen leise gemeinsam Volkslieder singen würde, wenn nicht irgendwann die Lieder ausgehen würden. Steigend verbissener und energischer wurde an Textzeilen gesucht, was sich finden ließ und es ging nur noch darum am Lagerfeuer zu singen, egal was und egal wie laut. Wunderbar abgedreht und bei aller Komik mit einem realistischen Kern, denn an allen Lagerfeuern fragte man sich spätestens nach dem Abspielen des meist nicht allzu großen Grundrepertoires: Was können wir denn noch spielen?

Nachdem sich das Publikum unter Anleitung von Rainald Grebe eingesungen hatte, schaffte es wirklich erstaunlich gut klingend einen Kanon und fügte sich damit in die abendliche Lagerfeuerstimmung und das gemeinsame Volksmusizieren ein. Ehe die komplette Nacht aber in großer Runde singend, ohne Beleuchtung am fiktiven Lagerfeuer verbracht wurde, ging das Bühnenlicht an und Rainald Grebe wechselte an das Keyboard und zu seinen eigenen Liedern.

Mit Martin Brauer am Schlagzeug und Marcus Baumgart an der Gitarre gab es zwei sehr gute Musiker, die die Lieder nicht einschränkten, sondern sehr gut unterstützten. Ich war beruhigt und fand diese Variante eines Rainald-Grebe-Konzertes zu meiner Überraschung auch sehr gut. Die Lieder wurden oft etwas druckvoller und auch abwechslungsreicher, als sie es nur bei Klavierbegleitung sein konnten, und Rainald Grebe konnte an manchen Stellen einfach nur singen und die Begleitung seinen Kollegen überlassen. Dass es manchmal ziemlich laut war, konnte ich hinnehmen, noch mehr Lautstärke hätte allerdings die Textverständlichkeit stark gefährdet.

In grünem Rollkragenpulli hinter seinem mit einer braunen Garten-Plastiktischdecke verkleideten Keyboard sitzend, sah Herr Grebe ein wenig aus wie in der Kommandozentrale des Raumschiffes Enterprise in den 70er Jahren. Nicht nur, dass ich jeden Augenblick den spitzohrigen Mr. Spock im Hintergrund erwartete, das Bild sah auch so altmodisch aus, dass es schon wieder kultig wirkte. Vertraut, heimelig, zeitlos und peinlich zugleich, und ich fand es passend und schön, genauso wie die rümpelig vollgestellte Bühne, bei der die Darsteller sich immer wieder mühsam zwischen den Gegenständen durchquetschen mussten und dabei hin und wieder Mikroständer und Dekomaterial mitrissen.

Ziemlich abgedrehte Ansagen und witzige Sachen wechselten mit sehr berührenden Liedern, die manchmal fast traurig waren. Die oberflächlichen Phrasen der “dreißigjährigen Pärchen”, die sich selber so modern fühlten, waren gar nicht so lustig, wie sie zunächst wirkten, und einen nervend Luftgitarre spielenden Dirk kannte wohl auch jeder.

Das Lied “Massenkompatibel” fand ich wunderschön und die sanfte, leicht gebrochene Stimme von Rainald Grebe ließ mich fast wegschmelzen. Ich überlegte, ob es vielleicht an dieser Stimme bei den ruhigen Liedern lag, dass er so sensibel rüberkam und damit besonders weibliche Zuhörer ansprach, aber dazu hatte er zu viele junge Männer im Fankreis. Von was wurden die angesprochen?

Für mich hatte das Lied “Massenkompatibel” einen Gänsehautfaktor, weil so viel Einsamkeit und der verzweifelte Wunsch, von allen geliebt zu werden, rauszuhören war. Dabei war doch gerade Rainald Grebe jemand, der anscheinend bewusst gegen den Strom schwamm und damit nicht massenkompatibel sein konnte. Nicht, dass ich alle Texte für autobiographisch hielt, aber die Aussage war so stark und ernst zu spüren, dass sie völlig nachvollziehbar war.

Das war in meinen Augen eine der Stärken von Rainald Grebe, dass er Situationen erfassen und die richtigen Stimmungen wiedergeben konnte mit treffenden Sätzen, mit entlarvenden Phrasen und mit wunderschönen Musikzeilen, die manchmal ganz einfach und leise gesungen wurden. Allerdings gab es auch Melodien, die ich mir in den Strophen gerne abwechslungsreicher gewünscht hätte, weil sie ständig wieder gleich begannen. Ich versuchte mir dann einzureden, dass damit der Text wichtiger würde, hätte aber trotzdem lieber mal andere Töne und überraschende, musikalische Wendungen gehört.

Rainald Grebe konnte auch extrem witzig sein und mit ernstem Gesicht völligen Blödsinn verkünden oder mit lauter Stimme und Nachdruck Sätze in den Raum schleudern. Manchmal kam er mir wie ein kleiner Junge vor, der bewusst über Grenzen schritt, widerspenstig war und dabei eine zufrieden grinsende “Ich-mach-das-einfach-so!”- Haltung hatte. Er zog durch, was er für richtig hielt, indem er es einfach lächelnd machte, und es schien ihm egal zu sein, ob andere darin einen Sinn fanden oder nicht.

Er blieb überraschend, und ich fand spannend, dass ich ihm alles zutraute und nie wusste, ob es gleich ganz traurig, leise, laut oder irrwitzig wurde. Vor allem gefiel mir der Wechsel zwischen der festen Stimme, die laut und selbstbewusst etwas hinausrief und der sanften, ganz zurückgenommenen, ernsthaften Stimme, die verletzlich wirkte und darum umso tiefer ging.

Natürlich gab es am Volksmusikabend auch die Klassiker “Dörte”, “Planeten” und “Brandenburg” und auch das von mir so geschätzte “Geile Fete” war dabei. Die Fangemeinde im Pantheon jubelte, wenn eines der bekannten Stücke zu hören war, und im Saal war allgemein viel Aufmerksamkeit zu spüren und Gelächter und Zustimmung zu hören. Vermutlich gab es aber auch hier einige Besucher, die nicht ganz klarkamen, mit dem, was sie erlebten, aber sie fielen nicht weiter auf. Vielleicht guckten sie nur verwirrt, blieben dabei aber ruhig.

Am Ende des Abends war mir klar, dass sich meine Begeisterung für Rainald Grebe noch mehr gefestigt hatte. Ich hörte ihn total gerne, fand ganz viel Reizvolles in den Texten und fühlte mich einfach wohl. Seine Gedankensprünge, die manchmal verwirrend wirkten, wurden für mich zunehmend logischer und ich erkannte, nachdem ich meinen Auf-dies-folgt-das-Schalter ausgeschaltet hatte, immer mehr Zusammenhänge. Mir gefiel es einfach.

Bei meinem Gatten lag die Sache anders. Immer noch konnte er den “Sinn” nicht finden, suchte nach einem logischen Aufbau und dem ordnungsgemäßen Ende der Texte und fragte sich: “Was will er mir sagen?” Ich war etwas verwundert, denn ich erkannte in jedem Lied Situationen, empfand Atmosphäre und sah überall “Sinn”. Vermutlich waren mein Gatte und ich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich verschieden gebaut. Während mir meistens egal war, WARUM etwas war und ich nur erspüren wollte WIE es war, wollte mein Gatte alles genau wissen und, wenn möglich, die Formel dazu kennen. Damit ließe sich auch erklären, warum er mit Mathematik so gut zurechtkam, während ich schon zu Schulzeiten binomische Formeln und Algebra in meinem Leben für völlig überflüssig und gänzlich uninteressant hielt. Vielleicht war mein Versagen bei mathematischen Zusammenhängen die Grundlage meines Verständnisses für Rainald-Grebe-Programme. (Eine gewagte These, aber sie fiel mir gerade so ein und ich finde, sie klingt ziemlich wissenschaftlich und überzeugend. Genauer drüber nachdenken möchte ich aber nicht.)

Nach den Erfahrungen der letzten Monate ging ich inzwischen davon aus, dass man Rainald Grebe hören und entweder sofort interessant oder sogar gut finden musste, so wie ich, oder eben lebenslang bei Grebe-Vorträgen fragend gucken würde, wie mein Gatte. Aber beides war in Ordnung. Ich konnte gut damit leben, dass mein Gatte mich für humorgestört hielt und er musste zwangsläufig damit leben, dass mir seine spitzen Bemerkungen zu diesem Thema gar nichts ausmachten. Allerdings fiel es mir schwer unbedarften Freunden den Besuch von Rainald-Grebe-Konzerten zu EMPFEHLEN. Ich konnte nur darauf hinweisen, dass ICH es klasse fand, konnte aber überhaupt nicht einschätzen, wem das ebenfalls gefallen würde. Bei den Leuten aus meinem Bekanntenkreis, die schon etwas von Rainald Grebe gehört hatten, wurde ich immer wieder davon überrascht, wem das gefiel und wem nicht. Da versagte meine Menschenkenntnis völlig.

Mein Tipp: Einfach mal anhören und wirken lassen. Rainald Grebe bleibt ähnlich, egal, ob im Soloprogramm oder mit der Kapelle der Versöhnung. Wenn man das eine mag, mag man auch das andere. Alleine am Piano ist das Solo-Programm vielleicht noch etwas textlastiger und abgedrehter, die “Volksmusik” mit Begleitmusikern etwas lauter, immer aber ist es ungewohnt und vor allem tiefsinniger, als man bei aller Albernheit zunächst glauben möchte.

Rainald Grebe ist ein Clown, der nach außen oft ganz lustig und etwas durchgeknallt wirkt, viele Späße aber auf ein ernstes Fundament setzt. Ich gebe keine Garantie, dass Rainald Grebe allen gefällt und massenkompatibel ist, aber ich finde ihn klasse!