Wise Guys – 07.04.2006 – Rob.-Schumann-Saal – Düsseldorf … mit der Schumann Camerata
In Düsseldorf gab es das Projekt “440 hz – New frequencies in classical music”, in dem Jazz, Improvisation und sogar DJs mit klassischer Musik in Verbindung gebracht wurden. “Das Orchester spielt die Lieblings-Hits der Wise Guys, und die Wise Guys werden ihre Klassik-Favoriten vorstellen”, so wurde der Abend mit den Wise Guys angekündigt. Hörte sich ja schon ganz interessant an, war dann aber noch viel besser als ich vorher gedacht hatte.
Der schöne Schumann-Saal war schon lange ausverkauft und wegen der großen Nachfrage waren extra zusätzliche Stehplätze auf der Empore angeboten worden. Da es freie Platzwahl gab, standen schon am Nachmittag die ersten Wise Guys Fans vor der Türe, die ihre Sitzplätze gerne weit vorne haben wollten. Vermutlich weniger, um die Geigerinnen aus der Nähe zu sehen. Der Einlass war ein wenig kompliziert, da es zu dieser Zeit einen Empfang im Gebäude gab und die Zuschauerströme um diesen herum geleitet werden mussten. Aber der Schumannsaal füllte sich stetig, niemand war auf den Treppen oder beim Empfang verloren gegangen, und das Konzert konnte ziemlich pünktlich starten.
Die Streicher der Schumann Camerata kamen unter Applaus auf die Bühne und begaben sich zu ihren Stühlen, die ordentlich in Halbkreisen um das niedrige Dirigentenpult gruppiert waren. Platz für die Wise Guys blieb nur am linken Rand, aber die waren ja auch weniger Personen und brauchten keine Sitzgelegenheiten. Eckart Schulze-Neuhoff, der Leiter des Robert-Schumann-Saales, kam auf die Bühne und wurde ebenfalls mit Applaus begrüßt. Er stellte die 440hz-Reihe kurz vor und entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten beim Einlass wegen der Parallel-Veranstaltung. Nachdem schon die beiden ersten Veranstaltungen der Reihe sehr gut angekommen waren, hatten die Wise Guys alles im Vorverkauf getoppt. „Wo sind die Wise Guys Fans?“, fragte Herr Schulze-Neuhoff in den Saal, und der laute Applaus und das Gejohle zeigten, dass es davon viele im Publikum geben musste.
Herr Schulze-Neuhoff erzählte, dass er zwei Wochen zuvor eine E-mail bekommen hatte mit dem Satz: “Meine Frau wird mich nicht vor den Altar begleiten, wenn ich nicht zwei Karten für das Wise Guys Konzert bekomme.” Das Publikum lachte freudig los und erfuhr, dass der verzweifelte Mensch tatsächlich noch zwei Sonderkarten bekommen hatte. „Herr Ungermann, jetzt möchte ich wissen, wie ist der Stand der Dinge?“, rief Herr Schulze-Neuhoff und guckte gespannt im Saal herum. Und tatsächlich meldete sich von der Empore Herr Ungermann und verkündete, dass er standesamtlich verheiratet war und demnächst vor den Kirchenaltar treten würde. „Wunderbar!“, kommentierte der Saalleiter und war wahrscheinlich froh, dass er keinem üblen Trick aufgesessen war.
Dass es nach dem Konzert noch eine Party im Foyer geben würde, war den meisten Besuchern neu, aber sie freuten sich, als Herr Schulze-Neuhoff das ankündigte und um zahlreiches Erscheinen bat. Sie freuten sich noch mehr, als sie hörten, dass es nicht nur Live-Musik geben würde, sondern auch die Wise Guys dabei sein wollten.
Und dann ging es los. „Begrüßen Sie mit mir die Wise Guys exklusiv im Schumann-Saal!“ rief Herr Schulze-Neumann laut und verließ die Bühne, um Platz für die Gruppe zu machen. Die Wise Guys wurden laut jubelnd begrüßt und passten in ihren schwarzen Anzügen optisch wunderbar in die Holz-Kulisse des Robert-Schumann-Saales und auf den Platz neben dem schwarz gekleideten Orchester. In einer Reihe stehend schlugen sie schwarze Notenmappen auf und sahen klassisch und seriös aus. Das Orchester blieb entspannt sitzen, denn den Beginn machten die Wise Guys alleine. Sari griff zur Stimmpfeife, in die gespannte Stille erklang ein Ton, dann setzte fanfarenähnlich zunächst Eddi ein, die anderen folgten nach wenigen Takten. Sie sangen textlich mit viel “Pah-pah” die Promenade von Mussorgsky. Anstelle der Instrumente eines Orchesters gab es die Stimmen der Wise Guys. Interesant: Ein Instrumentalstück, gesungen von den Wise Guys, während das echte Orchester ihnen zuhörte.
Es gab schwere, getragene Töne, unterbrochen von Klängen, die sich wie gezupfte Geigen oder strahlende Trompeten anhörten, und beim Endapplaus klangen die Wise Guys voll und laut durch den Saal. Das war ein vielversprechender Anfang, der auf den weiteren Abend neugierig machte. Großer Applaus erklang, und Eddi sammelte bei seinen Kollegen ordentlich die schwarzen Notenmappen ein.
„Schönen Guten Abend, wir sind die Wise Guys aus Köln“, stellte Dän die Gruppe vor und erhielt dafür Gelächter und Applaus. Dabei war das doch wirklich mal ein Konzert, bei dem nicht alle Besucher wussten, wer da stand. „Wir sind jetzt in drei Tagen dreimal nach Düsseldorf gefahren und wir sind immer noch blendend gelaunt“, fuhr er fort, was erneutes Gelächter auslöste. Die gute Laune läge an der Schumann Camerata, erklärte er, mit der sie seit drei Tagen probten, was ein Riesenvergnügen und eine große Ehre sei.
„Wir machen etliche Sachen zusammen und jede Gruppe macht dann noch das, was sie normalerweise auch tut“, fasste er kurz das Konzept des Abends zusammen. Normalerweise sangen die Wise Guys im Konzert Denglisch und das machten sie jetzt auch. Ich persönlich fand das Lied für diesen Abend etwas unpassend, aber Dän erklärte es mit der Verbindung von Anglizismen und dem englischen Dirigenten Alexander Shelley, und das ließ ich gelten. Außerdem mische ich mich sowieso nicht in die Liedauswahl ein.
Auf ungewohnt kleiner Bühne – die fünf Wise Guys konnten gerade mal eng nebeneinander stehen – lief die normale Choreographie ab. Nur den Pyramidenaufbau ließ Sari aus, dabei war nach oben Platz genug. Vermutlich hatten aber vorher Eddi und Clemens gesagt, dass er es vergessen könne mit schmutzigen Schuhen auf ihre guten Anzügen rumzuklettern. Was auf der Bühne des Schumann-Saales zu sehen war, war trotzdem unüblich für dieses Ambiente. Rechts saß ein untätiges Orchester, während links fünf seriöse Herren im schwarzen Anzug zum Mitklatschen animierten oder mit dicken Backen eine Rhythmusbegleitung in Mikros wummerten.
Waren beim Mussorgsky-Eingangslied noch Seriösität und Klassik durch den Saal geschwebt, waren mit Denglish Schwung und Mouthpercussion gekommen. Jetzt gab es die nächste musikalische Variante, zu der Dän Agnes Farkas und Matthias Bruns an den Solo-Violinen und Alexander Shelley als Dirigenten begrüßte. Sie kamen alle drei auf die Bühne, und besonders gespannte Blicke gingen zu Alexander Shelley, der erst Mitte 20 war und für einen klassischen Dirigenten ziemlich cool aussah. Eddi hatte ihn vorher auf der Homepage als ‘Augenschmaus’ angekündigt, und vermutlich widersprach da keiner der Besucher. Und erst recht keine der Besucherinnen.
Dän erzählte kurz, dass das nächste Stück, das Konzert für zwei Violinen in d-moll von Johann Sebastian Bach, sein Wunsch gewesen war, weil es früher sein Lieblingsstück in der klassischen Musik gewesen war. „Meine Eltern haben das im Auto immer im Kassettenrekorder laufen lassen und es war das EINZIGE klassische Stück, was ich gehört habe als Kind.“ In das Gelächter hinein wünschte er „Viel Spaß!“ und die Wise Guys gingen ab.
Die Schumann Camerata war ein wunderbares Orchester, das hörte sogar ich mit meiner relativ geringen klassischen Erfahrung. Sehr sauber, sehr exakt und wenn zehn Geigen spielten, waren trotzdem nicht zehn Instrumente zu hören, sondern es gab einen homogenen Klang, der leicht und lebendig blieb. Die beiden Solo-Violinisten spielten sehr gekonnt, und Alexander Shelley dirigierte klar, akzentuiert und sehr sicher. Es waren alles junge Leute auf der Bühne, zum Teil noch Musikstudenten, die Spaß an ihrer Musik und ihrem Können hatten und sichtlich motiviert waren. Es gab keinen verknöcherten, eingefahrenen Klassikklang, sondern Virtuosität, Flexibilität und Spritzigkeit auf auffallend hohem Niveau.
Nach dem langen Applaus wandte sich Alexander Shelley ans Publikum. Er stützte eine Hand in die Hüfte, guckte freundlich und sagte mit nur leichtem englischen Akzent: „Es freut mich, dass nicht nur UNSERE Fans gekommen sind, das war meine Sorge am Anfang, dass es für die Wise Guys peinlich gewesen wäre.“ Die Zuschauer lachten los, besonders die vielen Wise Guys Fans.
Sehr locker erzählte er kurz über das letzte Stück „von Bach, man kennt ihn irgendwie noch heutzutage…“ und über das nächste „von einem jungen Mann, der mittlerweile tot ist. Benjamin Britten kommt aus England wie ich und ich dachte, wir müssen heute abend ein paar Engländer mit einbauen. Was kann man spielen aus England, was sich gut anhört, da gibt es eher wenig, aber zumindest was lustiges. Viel Spaß dabei!“
Die Schumann Camerata zupfte Playful Pizzicato aus der „Simple Symphony“, der Klang wanderte in Wellen von rechts nach links durch das Orchester, war mal leise und mal laut, und es war wunderschön und leider viel zu schnell vorbei. Davon hätte ich noch mehr hören können. Der Applaus knallte laut los, als der letzte Ton vorbei war. Klasse!
Die Wise Guys kamen mit ihren Notenmappen unter dem Arm auf die Bühne zurück, und Eddi sagte: „Das ist schon klasse, was für Musik aus England kommt“, was nicht nur den Großteil des Publikums, sondern auch Alexander zum Lachen brachte. Eddi erklärte schnell, dass er selber in England geboren war und sich darum über diesen Beitrag gefreut hätte. Alexander hörte ihm zu und warf an dieser Stelle siegreich seine Faust in die Luft. Wahrscheinlich hätte er gerne eine kleine Englandflagge aufgestellt. War aber keine da.
Eddi fuhr fort: „Das nächste Stück hat eine enge Verbindung zu unserer gemeinsamen Heimat, denn es wurde geschrieben von – einem Norweger.“ Das kam so überraschend, dass schon wieder gelacht wurde. Gustav Holst hatte eine Suite „Die Planeten“ geschrieben, von denen eine Melodie ein Lieblingsstück von Eddi war. Es war von Cecil Spring-Rice vertextet worden und zu einer Art Nationalhymne in England geworden: I vow to Thee, my country.
Eddi sang die Leadstimme, das Orchester setzte sanfte Klänge dazu, und ich wurde von diesem Stück fast lahmgelegt. Wunderschön! Vor allem sah ich vor meinen Augen schottische Berge und grüne Wiesen und bekam eine unglaubliche Sehnsucht, dorthin zu fahren. Die Stimmen der Wise Guys waren zum Teil sehr hoch, was einen ganz neuen, fremden Klang ergab. Dazu die sanften Streicherklänge, die bei der relativ großen Anzahl von Musikern doch zart und verhalten bleiben konnten, das war eine sehr schöne Kombination mit hohem Schmelzwert.
Mit so vielen Instrumenten leise, aber trotzdem spannungsvoll zu spielen, war eine Kunst. Einige Besucher fanden nachher das Orchester im Vergleich zu den Wise Guys zu leise, aber von meinem Platz aus und meiner Meinung nach war es das nicht. Immerhin hatten die Wise Guys die Hauptstimmen und mussten klar vor dem Orchester zu hören und auch zu verstehen sein, während die Instrumente einen sanften Klangteppich darunter legen musste. Ich fand es wunderschön!
Die letzten Takte spielte das Orchester sanft und zum endgültigen Dahinschmelzen. Der allerletzte Akkord verklang ganz zart und leise, und es blieb einige Sekunden lang ganz still im Saal, ehe ein gewaltiger Applaus losbrach. Alexander Shelley klatschte zu den Wise Guys rüber und hob anerkennend eine Hand mit hochgestrecktem Daumen.
Eddi sammelte die Notenmappen wieder ein und sah dabei so gerade und korrekt aus, als würde er immer seriös in schwarzen Anzügen herumlaufen, klassische Konzerte geben und Notenmappen einsammeln. Wer ihn hier zum ersten Mal sah, konnte nicht ahnen, dass er auch sehr abgedreht und verrückt sein konnte. Netterweise verstellte er sich bei keiner dieser Rollen, sondern war einfach gleichermaßen abgedreht wie seriös.
Dän kam nach vorne und überlegte laut: „Wenn Eddi dieses Lied so wahnsinnig schön findet, fragt man sich, wieso er ein Lied wie Achtung! Ich will tanzen geschrieben hat.“ Die Wise Guys Kenner im Publikum lachten los, für die anderen erklärte Dän: „Wer uns noch nicht kennt, muss wissen, dass wir gelegentlich alberne Popsongs schreiben, die wir am heutigen Abend versuchen werden mithilfe der Schumann Camerata zu veredeln. Hier ein ganz besonders gewagter Versuch: Achtung! Ich will tanzen.“ Er grinste: „Das ist mit Sicherheit eines der blödesten Lieder, die wir je geschrieben haben.“
Das Orchester hob die Bögen, Alexander Shelley den Dirigentenstab, die Wise Guys stellten sich auf, und beim Einsatz startete ein hämmernder Mouthpercussion-Bass bei den Sängern und eine rhythmische Begleitung der Celli. Schließlich setzten die Geigen zur Melodie ein, und es war fast unglaublich, wie passend alles klang. Als hätte es schon immer die Orchester-Version gegeben.
Das Publikum setzte schon nach wenigen Tönen mit dem Mitklatschen ein und ließ sich mitreißen. Ich hörte auf die Geigen und war überrascht, wie ähnlich sie den sonst von den Wise Guys imitierten Geigen klangen. Dass ein Streichorchester nach Geigen klang, war eigentlich nicht verwunderlich, aber dass die Wise Guys einen ähnlichen Klang sonst auch alleine schafften, war dann doch eine verblüffende Erkenntnis. Die Celli brummten, der große Bass gab tiefe Töne, die Geigen fidelten, die Wise Guys sangen und hüpften auf der Bühne herum, und das zugegebenermaßen ziemlich blöde Lied brachte tolle Stimmung und echtes Folklore-Feeling in den seriösen Schumann-Saal. Beim letzten Ton warfen die Wise Guys ihre Arme nach oben und zeitgleich gingen alle Geigenbögen nach einem letzten, temperamentvollen Strich hoch und blieben einen kurzen Moment dort. Ein optisch ungeplanter, aber doch eindrucksvoller Moment. Der Applaus und das Gejubel knallte laut hoch und das Publikum zeigte sich begeistert. Man konnte das Lied durchaus für blöd halten, aber es war äußerst erfolgreich.
Die Wise Guys traten ab und Alexander Shelley griff zum Mikrofon. „So, das reicht erstmal“, waren seine ersten, fast gemurmelten Worte, die wieder sofortiges Gelächter auslösten. Er erklärte, dass nach diesem schnellen Stück mit Getanze nun ein anderes Stück im Programm käme, das auch mit Tanzen zu tun hätte, aber langsamer wäre. Seine Stimme wurde dabei immer ruhiger und betont langsamer, um die Atmosphäre dafür vorzubereiten.
Seine weitere Anmoderation machte die Stimmung dann aber wieder lebendiger, denn locker sagte er: „Das Ding ist von Tschaikowsky. Ein Russe, und man denkt bei Russland … an Herzlosigkeit, … man denkt … an irgendwie fiese Menschen …“ Lautes Gelächter, in dem ein tiefer, etwas fassungslos-empörter Unterton „Hohoho“ herausklang, unterbrach ihn. „Das hier ist gar nicht so fies!“, erklärte er in das immer noch durch den Saal wandernde Gelächter, wünschte viel Spaß und drehte dem Publikum den Rücken zu. Natürlich nur, um seine Position als Dirigent einzunehmen. Das Gelächter grummelte noch kurz weiter und löste sich dann in Beifall auf, der eine Anerkennung für diese völlig unerwartete und ganz und gar unübliche Dirigentenansage war.
Der Walzer aus der Serenade für zwei Streicher zeigte dann eine sehr gefühlvolle russische Seite, einerseits leicht, andererseits nicht unbeschwert, im Tempo nicht zu schnell und vor allem sehr ausdrucksstark gespielt. Sehr, sehr schön. So locker und flockig Alexander Shelley auch in seinen Moderationen war, beim Dirigieren war er voller Körperspannung und bewegte sich gezielt und immer kontrolliert.
Die Ruhe, mit der der Dirigentenstab Bögen zog, zeugte davon, dass er immer genau wusste, was er gerade tat und was er erreichen wollte. Das Orchester konnte sich auf ihn verlassen und ließ sich gut und schnell reagierend führen. Der vorletzte Ton des Walzers war schon leise, der letzte dann fast nur noch ein Hauch. Bis dahin kannte ich das Ende nur als kräftiges: „BOM – BOM“. Dieses Alexander Shelley- „Bh – ph“ war viel schöner. Wie ein letztes Filmbild, das sanft weggeblendet wird.
Weiter ging es mit dem 2. Satz für zwei Violinen von Bach, den Alexander wieder völlig unüblich ankündigte. Er erzählte von Bach, dessen vielen Kindern und dessen vielen Musikwerken und kam zum Schluss: „Der war ein ziemlich geiler Macker, der Bach. Und der Grund, warum er so viele Kinder zeugen konnte, glaube ich, liegt daran, dass er so schöne Musik schreiben konnte. Wenn man das anhört, was wir jetzt spielen, dann hat man auch Lust drauf.“ Die Zuschauer lachten schon wieder los und hatten Spaß, was auch daran lag, weil diese ungewöhnlichen Worte in einem Konzertsaal nicht anbiedernd wegen der jugendlichen Fans gebracht wurden und auch nicht provokant wirkten, sondern zu Alexander Shelley passten. Ein junger Dirigent, der fest im normalen Leben stand, cool und sehr humorvoll war und nicht nur die Klassikmusik für spielenswert hielt.
Ruhige Klänge zogen durch den Raum, und nur neben mir warfen sich drei jugendliche Wise Guys Fans mit verdrehten Augen nach hinten und langweilten sich sichtlich. Ich hätte ihnen gerne mal gesagt, dass das genau die Musik war, die ihre Lieblingsstars Wise Guys sich ausgesucht hatten und dass die nicht erfreut gewesen wären zu sehen, wie geringschätzig sie überhört wurde. Bei diesen dreien hatte der Versuch, ihnen die Klassik nahezubringen, vermutlich nicht geklappt. Warum Fans, die eigentlich nur die Wise Guys hören wollten, überhaupt in so ein Konzert gingen, blieb die Frage. Zum Ausgleich schrien sie vermutlich aus Gewohnheit nach jedem beendeten Stück laut los und brachten damit ungeplant ihre Begeisterung auch für die klassischen Orchesterstücke zum Ausdruck.
Die Wise Guys kamen auf die Bühne zurück und Dän zog moderierend den Bogen von den ersten Klängen der Höhlenmenschen über neue musikalische Themenfeldern bis zu Buddy Biber. Eigentlich konnte man meinen, dass das Lied nun überhaupt nicht in den Schumann-Saal passte, aber ich fand es besonders passend, weil es ungewohnte Geräusche einband und damit wieder eine völlig neue Art des Gesanges und der Musik zeigte. Nach Bach, der manchen Leuten Lust auf Kinder machte, konnte durchaus ein gesungener Comic mit Zack, Boing und Uiuiuiuiuiiiiii kommen.
Es ging los, gebannt verfolgte das Publikum den schnellen Text und die eingebauten Geräusche und lachte auf, wenn es besonders witzig war. Auch die Orchestermitglieder der Schumann Camerata guckten lachend zu, und Alexander Shelley hatte sich auf sein niedriges Dirigentenpult gesetzt und so zu den Wise Guys gedreht, dass er alles mitbekam und vergnügt grinste. Nach dem Schlussakkord gab es lauten Applaus vom Publikum und vom fröhlich lachenden Dirigenten, und die Geigerinnen klopften mit ihren Bögen an die Notenständer.
„Wir kommen zum letzten Stück vor der Pause …,“ begann Dän, und Eddi teilte währenddessen neben ihm wieder die Notenmappen aus. Dän stockte mitten im Satz, weil er ihn beobachtete „… ähm, das ist ein Stück …“, er lachte leicht, griff nach der angebotenen Mappe und murmelte zufrieden: „Sehr schön. Ich liebe das ja. Dankeschön.“ Das Stück war aus den Ungarischen Tänzen, zu denen beide Gruppen Verbindungen hatten, wie Dän erklärte. Agnes Farkas, die Solo-Violinistin, war ungarischer Abstammung, und Ferenc auch. Dän grinste: „Oder auch Ferrenk, wie er mitunter gerne genannt wird, Ferentsch, oder auch (mit rollendem amerikanischem R:) Ferrrenz. Er heißt aber Ferenc.“ Das Publikum lachte vergnügt los und Ferenc guckte ihn grinsend an.
Mit Blick zum Dirigenten erklärte Dän: „Das war das einzige Stück bei den Proben, wo ein bisschen zwischenmenschliche Spannungen aufkamen.“ Alexander Shelley drehte sich demonstrativ weg und winkte genervt ab. Dän: „Das ist wie beim Tanzen, dass halt Mann und Frau beide gerne führen wollen“. Selbstbewusst verkündete er: „Aber im Rahmen der Aufführung wird klar sein, wer hier …“ Alexander drehte sich lässig zum Publikum, zeigte auf sich und brachte damit den Saal zum Lachen.
Ganz fix gab er den Einsatz und das Orchester legte los, begleitet von Ferenc, der am Anfang mit kräftiger Stimme die Hauptmelodie sang. Im Prinzip übernahmen die Wise Guys gesanglich einige Instrumente und waren der Gegenpart zum Orchester. Mal machten die Geigen „didldidldm“, mal Sari und Clemens. Die musikalische Ähnlichkeit einiger Phrasen war klar zu erkennen und es war witzig zu hören, wie sie mal rechts, mal links auftauchte, wie mal das Orchester gewaltig laut spielte und mal die Wise Guys mit aller Kraft sangen.
Es gab Stellen, an denen das Orchester nach einer Pianostelle der Wise Guys laut einsetzte und die Wise Guys erschreckt zusammenzuckten, oder Stellen, an denen die Wise Guys einsetzen wollten, das Orchester aber einen Moment früher losspielte und die Sänger beleidigt guckten. Alexander Shelley grinste dann siegreich ins Publikum und dirigierte mit besonders großem Schwung.
Als einmal die Wise Guys kurz vor den Geigern einsetzten, ließen die ihre Bögen sinken und drehten sich alle mit vorwurfsvollen Blick zu ihnen um. Das Publikum reagierte mit vergnügtem Gelächter. Mit einem energischen lauten „Pam-Pam-Pam!“ war bei allen gleichzeitig Schluss, und tosender Jubel schallte durch den Raum. Geklatsche, Pfiffe, Geschrei und Fußgetrampel zeigten, dass dem Publikum sehr gefiel, was in diesem Programm geboten wurde.
Die Pause wurde genutzt, um sich im Foyer die Füße zu vertreten, ein Getränk zu konsumieren, sich zu unterhalten, oder über lange Treppen den Weg zur Toilette zu finden. Manche Besucher schafften sogar alles davon und waren zu Beginn der zweiten Hälfte wieder an ihrem Platz. Übrigens war die Kleidung der meisten Besucher dem Veranstaltungsort ein wenig angepaßt und es waren nur recht wenige ‘Wise Guys’-T-Shirts zu sehen.
Orchester, Dirigent und Wise Guys kamen nach der Pause gemeinsam auf die Bühne zurück und starteten ohne jede Anmoderation mit Nur für dich. Alexander Shelley hatte die Arrangements für die gemeinsamen Stücke geschrieben und war sehr sorgfältig und werkgetreu vorgegangen. Seine Idee den Beginn des Liedes, bei dem sonst der Wise Guys Background abwechelnd hingetupfte Noten sang, nun von den vielen Streichern zupfen zu lassen, war genial. Zart getupfte Plopp-Töne, und dazu Clemens, der mit Leidensmiene seine vielen vergeblichen Aktivitäten aufzählte, das klang so rund, als wäre es immer schon so gewesen. Die anderen vier standen stumm im Hintergrund und hörten zu. Erst bei den Einwürfen „Nur für dich“ kamen sie für kurze Augenblicke dazu und natürlich in den Refrains. Es war superklasse.
Als sich die Stimmung des Liedes gegen Ende änderte und lebendiger wurde, sangen die Wise Guys kräftig los, das Mundschlagzeug setzte ein und die Streicher strichen mit energischen Bewegungen über die Saiten. Die Wise Guys schienen Spaß zu haben und sich sehr wohl zu fühlen. Das Lied war ihnen vertraut und auch das neue Arrangement mit der Streicherbegleitung war nicht wirklich gewöhnungsbedürftig, sondern eine sehr gut passende Unterstützung. Sie konnten locker bleiben. In der letzten Zeile standen die Wise Guys am vorderen Bühnenrand, sangen spöttisch „Na-nana-na-naaah!“, streckten dann die Zunge raus und machten eine lange Nase. Superwitzig, dass das im gleichen Moment auch alle Streicher und der Dirigent Alexander Shelley in Richtung Publikum machten! Riesiges Gelächter und Applaus antwortete ihnen.
Als es endlich wieder ruhig wurde, griff Alexander zum Mikrofon und machte die nächste Moderation:. „Wir haben es schon wieder getan: Wir sind ins Banale abgerutscht, das wollte ich von vorneherein nicht an diesem Abend, “ entschuldigte er sich und fuhr ins Zuschauergelächter hinein fort: „Ich habe die Wise Guys gebeten, ob wir bitte ein, zwei Stücke machen können, die WIRKLICH was bedeuten.“ Schon wieder gab es Gelächter und er reagierte pikiert: „Es ist nicht lustig. Ich finde das nicht lustig!“ Dann wünschte er aber trotzdem viel Spaß beim nächsten Stück, für das er angeblich monatelang das Arrangement geschrieben hatte. Wer schlau war, guckte kurz auf seinen Programmzettel und wusste, das Rasier dich dran war, ein Stück, das alle Wünsche nach Bedeutsamkeit und Seriösität natürlich voll erfüllte.
Wunderbar schraubten sich im Intro die Geigen nach oben und das Rosarot des Bühnenlichtes war auch musikalisch im Orchesterklang zu hören. Ernst und ergriffen standen die Wise Guys da, hörten zu und blickten dabei, ohne eine Miene zu verziehen, nach vorne. Dann waren sie dran und setzten wie üblich ein, bewegten sich dabei tänzerisch hin und her, und schließlich wanderten Ferenc und Sari nach vorne und begannen mit ihrem gesungenen Zwiegespräch. Doch schon nach wenigen Zeilen kamen beide gleichzeitig aus dem Text. Sie blickten sich an, sangen rhythmisch passend „dadada-da“ und hatten ein Doppel-Blackout. Wahrscheinlich, weil die Geigen so wundervoll rosarot wabberten. Die drei Backgroundkollegen mussten gerade Background singen und konnten auch nicht so schnell umschalten und den Text einflüstern, so dass es zwei lange Zeilen dauerte, bis die passenden Worte beim nächsten Satzanfang plötzlich wieder da waren.
Das Publikum freute sich natürlich über diesen Patzer und lachte fröhlich, aber ein wenig ärgerlich war es für die Wise Guys schon. Gerade bei diesem Fuzzi-Lied, das doch eigentlich ganz fest im Hirn war! Andererseits war ‘Rasier dich’ ein Lied, das einen Texthänger besser vertragen konnte, als eines von den balladigen oder klassischen Stücken. Wirklich schlimm war es also nicht, sondern für die Zuschauer eher spaßverstärkend.
Die etwas später folgende Tanzszene löste natürlich weitere Begeisterung aus – wobei ich nach dem vor einiger Zeit von den Wise Guys besuchten Salsakurs doch mehr Hüftarbeit erwartet hätte – und als Sari dann nach einer Pirouette seitlich durch die Kulisse von der Bühne geschleudert wurde, gab es laute Aufschreie. Das Publikum hatte Spaß.
Nach dem letzten Ton sahen sich Ferenc und Sari an und schüttelten sich dann gegenseitig die Hand. Beide hatten es gleichzeitig versemmelt. Das war doch mal was. Dän drehte sich zu den beiden Helden um und meinte: „Ich möchte nur ungerne auf eurem Texthänger herumreiten, aber … da üben wir die ganzen schweren klassischen Stücke – und ihr macht den Fehler bei Rasier dich!“ Er konnte sich in Ruhe schwere Strafen für die beiden ausdenken und hinter der Bühne alles ins Protokoll schreiben, denn sie verließen gemeinsam die Bühne, um die Camerata den dritten Satz des Bachkonzertes für zwei Violinen spielen zu lassen.
Alexander Shelley kündigte an, dass das nächste Stück interessant sei und erklärte: „Beethoven hat seine Neunte Synphonie nie gehört, denn er war taub. Heute ist es ähnlich.“ Gespannt folgten die Zuschauer seiner Ausführung. Worauf wollte er hinaus? Er fuhr fort: „Dän hat ein Lied namens Du bist die Musik geschrieben. Die haben es aufgenommen, man hat es trotzdem nie live gehört, denn es wurde mit so vielen Spuren aufgenommen, dass es einfach eine einzige Bremsspur wurde …“ Dän guckte überrascht zu ihm rüber und grinste, denn diese Erklärung hatte er nicht erwartet. Alexander redete gespielt selbstgefällig weiter: „Ich bin dann gekommen und habe geholfen …“, was einen großen Lacher im Publikum auslöste, „… und sagte, Jungs, das kläre ich. Ich hab ein Arrangement geschrieben, dann mit jedem einzelnen Wise Guy geprobt, damit sie es singen können, und mittlerweile sind wir soweit. Du bist die Musik, das erste Mal live!“ Das war natürlich eine kleine Sensation, die besonders die Wise Guys Fans zu schätzen wussten.
Die Streicher begannen, und während Ferenc wummerige Basstöne ins Handmikro stieß, sang Dän die Leadstimme. Toll, wie gut Alexander Shelley in seinem Arrangement die unterschiedlichen Stimmungen des Liedes ausgearbeitet hatte. Heftige, drängende Töne in den Strophen mit fast hart kratzenden Geigen, eine sanfte Auflösung und weiche Klänge dann in den Refrains. Das Streichorchester war das, was dem Lied noch gefehlt hatte und was die vielen, bei der CD-Aufnahme benötigten Stimmen ersetzte. Es passte einfach. Und auch die langen gesungenen Töne der Background-Wise Guys in den Refrains waren kein klanglicher Gegensatz, sondern eine Ergänzung zu den Geigen.
Ich fand es total klasse. Und ich freute mich sehr für Dän, dass er die Möglichkeit hatte, dieses Lied in solch einer großartigen Form live aufführen zu können. Großes Kino, könnte man sagen, zumal sich gerade der Geigenschluss wie Filmmusik anhörte. Super gemacht von allen Beteiligten und ein wirklicher Genuß!
„Das hat sehr viel Spaß gemacht, dankeschön!“, sagte Dän nach dem Applaus freundlich lächelnd, aber mit ungewohnt ruhiger Stimme zu Alexander Shelley und schien wirklich etwas ergriffen zu sein. Ruhig begann er über Bratscher zu erzählen, die häufig das Opfer von Witzen waren und über die es ganze Witzbücher gab. Völlig ungerechtfertigt, betonte er und fuhr fort: „Bei A-cappella-Musik ist das entsprechende Pendant zu den Bratschen der Bass. Da aber zu Recht.“ Das Publikum lachte prostestierend auf, und Dän erklärte: „Bei unseren Konzerten ist der Ferenc halt rein begleitend … angestellt. Er macht bei uns netterweise die tiefen Töne. Im Konzert haben wir ihm immer wieder ein Sololied gegeben und die Leute bemerken ihn dann kurz vor Schluss. Er hat sich damit abgefunden, und wir anderen haben manchmal das Gefühl, dass er sich in dieser Rolle ZU wohl fühlt.“ Tiefgang, das neue Sololied von Ferenc war dran, und die Mitglieder der Camerata hörten zu.
Schön tief und volltönend, die Hand meistens lässig in der Hosentasche, sang Ferenc von den Vorzügen, die er als Bass hatte. Dabei stellte er kurz und etwas hämisch seine Kollegen vor, von denen Sari den dicken Applaus abzockte, als er die Arme hinter den Kopf nahm und lasziv die Hüften kreisen ließ. Das mit dem Applaus war nicht ganz so gedacht, denn eigentlich wollte Ferenc ja zeigen, dass selbst Saris Hüftschwünge nicht gegen ihn ankamen, aber egal. Wunderbar dann die in den Breaks von Ferenc eingeschobenen „Oh, yeah!“ oder „Mmmmhs“. Natürlich überzeugte Ferenc mit seiner Darbietung und vor allem mit dem lockeren Grinsen und der wirklich coolen Haltung alle Besucher und bewies, dass er weit entfernt von Bratschen und Witzen war.
Der Applaus war lang und laut. Fast tobend, und es dauerte etwas, bis Dän wieder zu Gehör kam. In der Zwischenzeit kamen einige Bläser über die Bühne gelaufen und suchten sich ihren Platz im Orchester. Sie wurden für das nächste Lied, When I’m Sixty-Four benötigt. „Bei diesem Lied hat Alex Shelley das Arrangement gemacht, das auch sehr schön ist …“, sagte Dän an, und schränkte dann ein: „… bis auf den etwas leichten Eröffnungsteil.“ Alexander Shelley grinste ins loslachende Publikum, und Dän erwähnte noch schnell, dass mit dem Fagott die absolute Lieblingsstelle des gesamten Konzertabends gespielt würde.
Das Orchester begann das Intro, und nach wenigen Takten drehte sich Alexander zum Publikum um und hob fragend die Hand, was ausdrücken sollte: Nun? Ist doch gut, oder?, was zufrieden lachend bestätigt wurde.
Das Arrangement war witzig, originell und wunderschön. Auch der “leichte Eröffnungsteil”. Leider gingen manche der klitzekleinen, superguten Stellen verloren, weil das Publikum gerade laut über einen der singenden Wise Guys lachen musste und nicht auf die Feinheiten des Orchesters hören konnte. Das angekündigte Fagott war fast schon vergessen, kam dann aber gerade noch in der letzten Strophe. Eigentlich sollte genau in eine kleine Pause ein heftig rausgeröhrtes „Dooooooot“ ertönen, was bei den Proben auch immer superlaut gewesen war. Mit guter Laune und voller Schwung stand diesmal der Fagottist extra für den Ton auf, was supercool war, leider aber den Ton etwas leiser machte. Außerdem lachte das Publikum nach Saris Satz gerade laut, so dass das „Dooooooot“ fast verloren ging. Schade! In den Proben hatte da nie jemand gelacht.
Das nächste Stück war Neun live, das von den Wise Guys auf ungewohnt wenig Platz mit voller Choreographie dargeboten wurde. Hämmernde Töne zeigten schon wieder eine neue Art der Musik an diesem Abend, und irgendwie passten im Programm sowohl Bach-Violinen, als auch Disco-Hämmern. Die Geigerinnen guckten interessiert den tanzenden Wise Guys zu und hatten wahrscheinlich nicht oft so viel Bewegung neben sich auf der Schumann-Saal-Bühne.
Während des abschließenden Beifalls studierte Dän die auf den Boden geklebte Songliste und hob dann verwundert den Blick zu Alex Shelley: „Das ist schon das letzte Stück! Unfassbar!“ Das Publikum machte traurig „Ooooooh!“ und Dän bestätigte: „Find ich auch!“ Eddi kam und verteilte schon wieder die Notenmappen, und Dän blieb demonstrativ stumm und beobachtete ihn aufmerksam, bis er fertig war, ehe er sich bei der Schumann Camerata und Alexander Shelley bedankte: „Wir hatten wahnsinnig Spaß mit euch!“ Alexander griff seinerseits zum Mikro und antwortete: „So schwierig wie die letzten drei Tage waren …“ und grinste dann: „… möchte ich mich auch bei den Wise Guys bedanken. Vielen, vielen Dank!“ Dän kündigte kurz den Bolero von Ravel an und erwähnte, dass manche Leute dieses Lied fälschlicherweise für die musikalische Darstellung eines Liebesaktes halten würden. Er blätterte in seinen Noten und stellte dann fest: „Aber wenn es so wäre, dann geht die Sache auf jeden Fall gut aus.“
Diesmal musste Ferenc ganz alleine einsetzen. Die Bühne war voll mit Streichern, Bläsern und Sängern, aber der Dirigent gab nur Zeichen für das einsam beginnende „Bom-Bom“ der Bassstimme. Doch dann zupften nach und nach die Celli mit, eine Trommel wirbelte leise, aber klar akzentuiert los und eine Flöte ertönte zart. Es dauerte, und Eddi guckte auffällig langsam bei Sari in den Noten, ob der auch noch nichts zu singen hatte. Dann ein Blick rüber zu Dän, der gelangweilt zurückguckte und dann wieder in die Luft starrte. Ferenc sang “Bom-Bom” und einige Instrumente spielten mit, die anderen warteten. Leises Gekicher im Publikum, das lauter wurde, als dann auch noch Ferenc singend seinem gelangweilten Nachbarn Clemens in den Noten zeigte, wo sie dran waren.
Sari schüttelte während der Warterei vermeintlich unauffällig die Arme und die Beine aus, die scheinbar fast schon eingeschlafen waren und guckte dann konzentriert in Eddis Noten, ob da was zu entdecken wäre. Der unentwegt das Orchester dirigierende Alexander blickte plötzlich zu den Wise Guys herüber, wedelte deutlich winkend mit der Hand, um sie auf sich aufmerksam zu machen und gab ihnen dann ihren Einsatz. Pünktlich setzten sie ein und er hob lässig lobend den Daumen, was einen lauten Lacher auslöste. Für einen Liebesakt erschien mir das alles sehr lustig, aber ich fand es genau richtig. Ich wollte das gar nicht seriös und komplett ernsthaft hören, sondern in genau dieser abgedrehten Mischung. Unbekümmert sang Dän mit lauter Stimme eine Hauptmelodiestimme, danach quetschte und zog sich Eddi ziemlich jazzig durch eine andere Solo-Stelle. Dän hielt sich dabei mit angestrengtem Blick eine Hand vor sein Ohr, um sich ein wenig vor den schrillen Tönen zu schützen.
Hin und wieder ging ein prüfender Blick von den Wise Guys zum Mann auf dem Dirigentenpult, der den Überblick behielt, klare Einsätze gab und eine große Sicherheit ausstrahlte. Der wusste, wann wer dran war und würde schon dafür sorgen, dass auch alle gleichzeitig fertig waren. Auch für mich als Zuschauer war das sehr beruhigend.
Es wurde lauter und lauter, immer mehr Instrumente spielten mit, die Trommel wurde treibender, die Wise Guys sangen kräftiger, und nach einem lauten Schluss war das Ende furios erreicht und es war, wie Dän vorher versprochen hatte, gut ausgegangen. Das Publikum jubelte laut auf, gab Standing Ovation und war begeistert. Die Wise Guys beklatschten das Orchester, Alex Shelley das Orchester und die Wise Guys, die Streicher klopften mit den Bögen auf den Notenständern herum, und das Publikum beklatschte und bepfiff einfach alles. Dann gingen die Wise Guys mit Alexander Shelley ab, kamen aber recht schnell wieder. Zum einen, weil das Publikum weiterhin wild klatschte, zum anderen, weil das so geplant war.
Zuerst wurde aber immer noch geklatscht, und erst als das Orchester wieder saß, das Bühnenlicht runtergefahren war und auch Alexander wieder seinen Sitzplatz auf der niedrigen Kante seines Dirigentenpultes eingenommen hatte, wurde es ruhig im Saal. Dän nutzte das, um auf den Mann hinzuweisen, der für diesen Abend die meiste Arbeit gehabt hatte: Alexander Shelley. Natürlich ging der gerade erst gestoppte Applaus sofort wieder los, aber das war schon OK, denn das Publikum bedankte sich auf diese Weise ebenfalls. Alexander erhob sich, lief zu den Wise Guys um Dän kurz zu umarmen, und setzte sich dann wieder hin. Es konnte losgehen.
Sie hätten in den letzten Jahren viel seichte Popmusik gemacht, begann Dän und führte als schlimmes Beispiel dafür den ‚Ohrwurm‘ an. Freudig jubelten einige Fans auf und begannen sogar den Refrain zu singen, aber er wiegelte ab und kündigte den Kein-Ohrwurm an. Sehr fasziniert hörten auch die Orchestermitglieder dem 12-Ton-Vortrag-ohne-alle-12-Töne zu und schienen ziemlich begeistert. Der hatte aber auch inzwischen überzeugende Qualitäten angenommen und würde vermutlich bei modernen Konzertabenden oder Vernissagen protestlos akzeptiert werden.
Dän kam nach dem Applaus an den Bühnenrand. „Obwohl es ein wirklich wunderschöner Abend war und wir uns wahnsinnig wohl gefühlt haben, darf man nicht vergessen: Wir sind hier in Düsseldorf! Deswegen an dieser Stelle ein kleines Heimatlied.“ Es begann als sanfte Hymne mit dem Text: „Ich bin in Köln am Rhein geboren …“ und die Wise Guys legten dabei in aufrechter Haltung ihre rechte Hand aufs Herz. Das löste allerdings weniger Ehrfurcht, als viel mehr lustige Auflacher und hörbares Vergnügen beim Publikum aus, weil es so schön theatralisch aussah und weil es in Düsseldorf stattfand. Clemens hatte die Leadstimme bei Schunkeln, und im Verlauf des Liedes wurde das Gelächter immer vergnügter. Nur mit dem Mitschunkeln hatten dann einige Leute doch Probleme und es fiel dürftiger als bei normalen Wise Guys Konzerten aus. Da schüchterte wohl Herr Schumann noch etwas ein. Gegen Ende des Liedes waren dann aber doch recht viele Reihen hin- und herwippend dabei.
Im langen Applaus gingen die Wise Guys ab, aber da die Schumann Camerata sitzen blieb und auch Alexander Shelley weiterhin bequem auf seinem Dirigentenpodest saß, war anzunehmen, dass sie wiederkommen würden. Das taten sie dann auch recht schnell. Und hinter ihnen kam sofort Herr Schulze-Neuhoff und brachte anstelle der üblichen Blumensträuße dicke Schokoladen-Osterhasen für die Solisten, den Dirigenten und die Wise Guys.
Er bedankte sich bei Alexander Shelley, der viel Arbeit gehabt hatte, und versuchte den Wise Guys vor versammeltem Publikum das Versprechen für eine Wiederholung im nächsten Jahr abzunehmen. Die lächelten allerdings nur nett und hüteten sich, spontan zuzusagen, um nicht bei der Rückkehr ins Büro mit ihren vielen anderen Terminen und der Frage, wann sie das denn noch reinschieben wollten, konfrontiert zu werden. Herr Schulze-Neuhoff ging ab und Alexander griff zum Mikrofon: „Ich hör auf jetzt mit dem Danken und so. Zu meinen Arbeiten in den letzten Wochen gehörte noch ein Arrangement und ich bin schwer enttäuscht, wenn wir das nicht machen. Also erwarte ich noch mindestens eine Zugabe, eventuell auch zwei …“ Das Publikum klatschte und jubelte nach dieser Ankündigung begeistert los. Er forderte auf: „Und kommt zur Party gleich! Wir werden zusammen feiern, das gehört dazu, wenn man abends weggeht!“
Und dann hatte er noch etwas: „Arrangieren ist etwas, das eigentlich nur Spaß macht. Man nimmt irgendetwas von jemand anderen und versucht da irgendwie keinen Scheiß zu bauen, das also irgendwie hinzukriegen. Aber das Zeug, das mir in die Hände gelegt worden ist von den Wise Guys, ist echt von allerhöchster Qualität. Und was mir wichtig ist an einem solchen Abend zu sagen: Ein klassischer Musiker betrachtet das genauso, wenn er Jazz anguckt, Pop, was auch immer, Qualität ist Qualität. Und bitte, wenn Sie in ein klassisches Konzert kommen, vergessen Sie diese Erwartung, ‚man muss intellektuell denken‘, oder irgendwas. Unsere Qualität, deren Qualität ist alles gleich. Es geht um Musik. Und Dän ist einer der besten Songwriter, den ich jemals gehört habe.“
Puh! Das war ein gewaltiges Kompliment von einem klassischen Musiker und Dirigenten, der hochtalentiert war und vermutlich bis ganz nach oben kommen würde. Das Publikum donnerte mit dem Applaus los, und Dän war sehr verlegen nach diesem großen Lob und wusste nicht, ob er ernst gucken, oder breit strahlen sollte. Alexander griff zum Taktstock, Dän versuchte, immer noch verlegen, mit leichten Handbewegungen den Applaus abzuwinken, aber das Publikum klatschte und jubelte erstmal fertig. Dann ging es zur Freude des aufjubelnden Publikums sofort mit Sing mal wieder los, bei dem nur zwei Blechbläser, nämlich eine Trompete und eine Posaune, strahlende und überzeugende Bigband-Klänge des Orchesters erreichten. Wahnsinn!
Das Publikum machte im Mitsingteil gerne mit, auch wenn Eddi hohe Ansprüche hatte und einige schwierige Sachen vorsang. Wie immer war die Begeisterung nach diesem Lied groß, und im Schumann-Saal gab es schon wieder Standing Ovation. Die Wise Guys gingen zusammen mit Alexander Shelley ab, aber da der ja vorher von ZWEI Zugaben gesprochen hatte, konnte das Publikum ziemlich sicher mit ihrer Rückkehr rechnen.
Alexander kam zuerst, forderte das Orchester auf sich zu erheben und beklatschte es. Die Wise Guys kamen hinterher, bedankten sich ebenfalls klatschend und die Zuschauer bejubelten alles. „Nachher ist Party“, wies Dän nochmal darauf hin, „und wir freuen uns, wenn viele von euch noch da bleiben. Und wir singen jetzt, und das ist das Letzte, was wir zusammen können, ein Schlaflied.“ Das Licht wurde fast ganz heruntergefahren, und sanfte Klänge der Schumann Camerata zogen durch den Raum, zu denen dann Dän mit der Leadstimme von Träum vom Meer einsetzte.
Bei den Streichern hörte man keinen Ansatz, die Töne wechselten fast unmerklich und zogen große Bögen. Nur der große Bass unterstützte den Rhythmus, den Ferenc dumpf und tief in sein Mikro sang. Alles zusammen ergab eine ganz ruhige, fast traumhafte Atmosphäre. Und es spielten nicht zwei verschiedene Gruppen zusammen, sondern es war eine musikalische Einheit. Als wäre das Stück für die Kombination Wise Guys und Streicher geschrieben worden. Wunderschön.
Im Endakkord verschwanden erst die Wise Guys akustisch, dann wurden auch die Geigen immer leiser und lösten sich auf. Es blieb einige Sekunden lang ganz still im Saal, ehe gewaltiger Applaus losging. Als das Licht anging, sah man Dän zufrieden lächeln und Beifall in Richtung der Schumann Camerata und Alexander Shelley klatschen. Alexander kam zu den Wise Guys rüber, sie umfassten sich alle an den Schultern und machten am Bühnenrand eine gemeinsame Verbeugung. Abgang, erneuter Aufgang, Verbeugung, Abgang, Schluss.
Was für ein Konzert! Ich war sehr begeistert und fand besonders die an diesem Abend gemeinsam gebrachten Stücke klasse. Es war ungeheuer interessant, die Wise Guys mal anders zu erleben, ihre eigenen Stücke mit Orchesterbegleitung, oder sie selber in klassischen Stücken zu hören. Was die Sache für mich besonders reizvoll machte war, dass die Wise Guys keine klassisch ausgebildeten Stimmen hatten. Und trotzdem passte es mit einem klassischen Orchester zusammen. Sicher wären die King’s Singers an vielen gesungenen Stellen musikalisch exakter gewesen, aber dann wäre das Ganze ein fast rein klassisches Konzert geworden. Gerade die Stimmen der Wise Guys, mit denen sonst ganz andere Musikstile gesungen wurden, brachten den reizvollen Kontrast. Ich sah das in Qualitätshinsicht ähnlich wie Alexander Shelley. Es gab nur GUTE und NICHT GUTE Musik. Wenn Musik mich berührte, aufmerksam machte und interessiert zuhören ließ, war es egal, ob es klassisch, populär, jazzig, traditionell, Bach oder Wise Guys war. Gute Musik und Könner gab es in fast allen Musikrichtungen. Und so wie der Spitzendirigent Alexander Shelley aus der ungewöhnlich guten Schumann Camerata das Beste herausholte, standen die Wise Guys auf ihrem Gebiet auch an der Spitze und schrieben und sangen Lieder, die zum Teil Klassiker werden würden. Alexander Shelley hatte wunderbare Arrangements geschrieben und die Stücke für das Orchester so umgesetzt, wie Dän oder Eddi es beim Komponieren gemeint hatten.
Und dass gerade der ausgezeichnete Klassikdirigent Alexander Shelley etwas zu guter Musik, egal welcher Stilrichtung sagen konnte, zeigte er bei der anschließenden Party im Foyer. Da saß er bei der Coverband ‘Anna’ nämlich selbst am Keyboard, sah kein bißchen mehr wie ein Dirigent aus, sondern wie ein junger Popmusiker und spielte alte und neue Hits, zu denen die gut gelaunten Konzertbesucher tanzten und klatschten. Bis in die Morgenstunden wurde noch gefeiert, drei der Wise Guys hielten bis zum Ende durch, dann war der ungewöhnliche, aber sehr gelungene Konzertabend beendet.
Promenade, Mussorgsky (Wise Guys)
Denglisch, Wise Guys (Wise Guys)
Konzert für zwei Violinen d-moll (1.Satz), Bach (Schumann Camerata)
Playful Pizzicato aus “Simple Symphony” (Britten) (Schumann Camerata)
I vow to Thee, my country, Holst (Wise Guys + Schumann Camerata)
Achtung! Ich will tanzen, Wise Guys (Wise Guys + Schumann Camerata)
Walzer aus der Serenade für Streicher, Tschaikowsky (Schumann Camerata)
Konzert für zwei Violinen d-moll (2.Satz), Bach (Schumann Camerata)
Buddy Biber, Wise Guys (Wise Guys)
Ungarischer Tanz Nr.5, Brahms (Wise Guys + Schumann Camerata)
Nur für dich, Wise Guys (Wise Guys + Schumann Camerata)
Rasier dich, Parks/Wise Guys (Wise Guys + Schumann Camerata)
Konzert für zwei Violinen d-moll (3.Satz), Bach (Schumann Camerata)
Du bist die Musik, Wise Guys (Wise Guys + Schumann Camerata)
Tiefgang, Wise Guys (Wise Guys)
When I’m Sixty-Four, Beatles (Wise Guys + Schumann Camerata)
Neun Live, Gaynor/Wise Guys (Wise Guys)
Bolero, Ravel (Wise Guys + Schumann Camerata)
Kein Ohrwurm, Wise Guys (Wise Guys)
Schunkeln, Wise Guys (Wise Guys)
Sing mal wieder, Wise Guys (Wise Guys + Schumann Camerata)
Träum vom Meer, Wise Guys (Wise Guys + Schumann Camerata)