Wise Guys – 16.02.2005 – E-Werk – Köln … mit verwunderter Security
Die Security war völlig verwirrt. “Die stellen sich in Zweierreihen an und stehen um die Ecke rum den ganzen Bürgersteig lang”, stellten sie verwundert und fast fassungslos fest, als sie eine Viertelstunde vor Einlass aus den Fenstern des Foyers auf die ordentlich anstehenden Besucher starrten. “Sonst haben wir die alle im Pulk vor der Tür stehen und sie drängeln”, schüttelte einer den Kopf und fand das alles sehr lustig. Was waren denn das für Fans? Und vor allem: Was waren das für Musiker, wenn die solche Fans hatten?
Das E-Werk mit seiner denkmalgeschützten, roten Backsteinfassade und dem hübschen Turm befand sich im Mülheimer Industriegebiet. Es gab dort ein Viertel mit vielen alten Fabrikgebäuden, die an längst vergangene Zeiten erinnerten, als hier die Hauptarbeitgeber von Köln Tausende von Mitarbeitern beschäftigten. In einigen Häusern hatten sich inzwischen moderne Firmen eingerichtet, Filmproduktionen und Design-Agenturen. Das frühere Elektrizitätswerk veranstaltete als E-Werk gut besuchte Partys und Konzerte. In den Wochen davor hatte fast täglich die Kölner Stunksitzung in der großen Halle des E-Werkes stattgefunden, inzwischen waren die Kulissen und Sitzbänke abgebaut worden und die Wise Guys konnten die Bühne übernehmen.
Ein recht massives Ordneraufgebot, vorwiegend kurzgeschoren und mit breiten, muskelvortäuschenden Bomberjacken versehen, stand an den Türen, als der Einlass begann. Viel hatten sie aber nicht zu ordnen. Alle Besucher zeigten brav ihre Karten vor, die ersten rannten noch in den Saal, um Plätze vor der Bühne oder auf der Galerie zu sichern, die späteren kamen schon ganz gemütlich an, weil für die erste Reihe sowieso alles zu spät war. Als sich alle 2000 Besucher stehend im Raum verteilt hatten, war der bis hinten voll.
Gegen 20 Uhr begann ungeduldiges Klatschen. Als das Saallicht erlosch, gab es Jubel, und kurz danach kamen die Wise Guys auf die Bühne, stellten sich auf und lächelten freudig in den lauten Applaus. Boah, da war ja schon echt gute Stimmung! Wo der Pfeffer wächst eröffnete das Programm, und die Zuschauer gingen sofort gut mit. Ein Ordner patrouillierte mit ernstem Gesichtsausdruck immer mal im Raum zwischen Bühne und Drängelgitter, aber die Fans guckten entspannt und gut gelaunt, ohne dass es kritische Situationen gab.
Nach dem letzten Akkord gab es großen Jubel, der von den Wise Guys erstmal abgewartet werden musste, ehe Sari den nächsten Ton angeben konnte. Doch dann kam ohne weitere Ansage Was für eine Nacht. Ferenc war in der Abmischung etwas laut mit seinem durchgehenden “Dau-Dau”, was zwar auffällig, aber nicht unbedingt schlecht war, weil es den Rhythmus unterstützte.
Die Zuschauer klatschten im Refrain mit, hörten während der Strophen aber aufmerksam zu. Viele Lippen bewegten sich mitsingend, aber zu hören war vom Publikum nicht viel. Zum Glück. Ich bin da ja völlig intolerant, wenn neben mir lauter gesungen wird, als ich es von der Bühne her höre. Schließlich steht auf der Konzertkarte, dass die Wise Guys ein Konzert geben und nicht: “Susi Schmidt singt Wise Guys”. (Auf den Namen komme ich später im Bericht nochmal zurück, der ist ein SYNONYM.) Das Mitsingen bei Konzerten kann ich gut finden, wo es erwünscht ist. Also bei einigen Refrains, bei mehreren Liedern im Tanzbrunnen oder beim Mitsingteil der Spezialnacht. Vielleicht sehe ich das aber auch alles zu eng und sollte bewusster den Koloraturen meiner Konzertnachbarn zuhören und nicht immer so einseitig auf die Wise Guys fixiert sein. Offen für Neues, auch wenn es die Wise Guys übertönt. Oder so.
Lautes Gejubel und Geklatsche, helle Mädchenschreie und schrille Pfiffe waren die Reaktion auf ‘Was für eine Nacht’. Die Stimmung im Publikum war gelöst. „Dankeschön!“, war Dän durch den Lärm hindurch zu vernehmen. „Das ist aber nett. Guten Abend!“ Es dauerte etwas, bis der Lärm aufhörte und er gut zu hören war. „Willkommen im E-Werk! Was wir heute hier machen ist eigentlich ein Konzert in der Kölner Philharmonie. Theoretisch. Wir haben einen Philharmonietermin getauscht fürs E-Werk, weil wir dachten, das macht hier mehr Spaß. Die Leute stehen und … “ Zustimmendes Geschrei und Gejohle unterbrachen ihn. Er grinste und erklärte besänftigend: „Um die Philharmoniebesucher nicht zu beleidigen: Es macht auf eine ANDERE Art Spaß. Die Leute sind in der Philharmonie ein bisschen schicker …”, andeutungsweise zupfte er seinen Hemdkragen zurecht, “aber … was soll’s … das war’s dann auch schon.“
Dän erklärte, dass sie seit dem Erscheinen des Albums im November sehr viele Konzerte, aber fast keine in Köln gegeben hatten. “Nur zwei kleine in Klettenberg, in der Johanneskirche, und heute eigentlich das erste richtige Köln-Konzert. Wir freuen uns, dass wir heute hier, wenn auch auf der falschen Rheinseite, ein kleines Konzert geben.” Pfiffe und empörte Rufe über die ‘falsche Rheinseite’ schallten durch den Raum, und Dän wiegelte grinsend mit „Oooh-oooh!“ ab, sah aber überhaupt nicht schuldbewusst aus. Eher nach dem Motto: Lass die mal pfeifen, es IST die falsche Seite.
Schon im Intro von Du kannst nicht alles haben setzte das Publikum an der richtigen Stelle mit dem Doppelklatscher ein, was zeigte, dass das Lied vorher schon von vielen Leuten gehört worden war. Entweder im Konzert oder auf der Pfeffer-CD. Solche Mitmachaktionen waren für die Auflockerung des Publikums immer gut, auch wenn die Zuschauer im E-Werk das gar nicht brauchten. Aber es machte Spaß.
Dän kam zur Zuschauerbefragung: „Wir möchten gerne ein bisschen erfahren, wie sich unser Kölner Publikum heute zusammensetzt. Darum bitten wir jetzt um die Innenausleuchtung des E-Werkes, was in einem ehemaligen E-Werk nicht so schwerfallen dürfte.“ Die Zuschauer lachten und das Licht ging an. “Wir sind zum ersten Mal mit einem eigenen Konzert hier”, fiel Dän ein, als er auf die vielen eng gedrängten Zuschauer im Saal sah. “Wir hatten mal vor 10.000 Jahren ein Konzert hier, so ein halbes. Bei den Höhnern, irgendwie als Gast. Es ist sozusagen der Tanzbrunnen in klein und drinnen, heute Abend.”
Auf die Frage, wer zum ersten Mal bei einem Wise Guys Konzert war, gingen unglaublich viele Hände hoch. Das war mindestens ein Viertel der Besucher, wenn nicht sogar ein Drittel. „Oh, mein Gott!“, rief Dän überrascht aus. “Das ist ja unfassbar! Das sind ja mehr, als neulich in Dresden! Echt wahr!!“ Auch absolute Neuhörer, die nie zuvor ein Lied gehört hatten, waren in erstaunlich großer Anzahl vorhanden. “Wer wäre heute lieber auf einem Sitzkonzert?” fragte Dän interessiert, und viele Hände gingen hoch. „WAS MACHT IHR HIER??“, rief er laut und erstaunt und hatte anscheinend vergessen, dass es im Kölner Raum nicht mehr so viele Gelegenheiten für den Besuch eines Wise Guys Konzertes gab. Außerdem versprach ein Stehkonzert im E-Werk eine besondere Stimmung.
Auf seine Frage hin meldeten sich auch einige Düsseldorfer, die sehr unnett von anderen Besuchern mit Pfiffen und Buhrufen begrüßt wurden. Dän betonte: „Wir freuen uns sehr!“, und ermahnte die Buhrufer: „Da muss man ein bisschen Nachsicht üben! Die Leute müssen das ja auch morgen ihren Kollegen erklären“, und wandte sich nochmal freundlich an die Düsseldorfer: „Also, vielen Dank!“
“Wer ist heute gezwungen worden zum Konzert zu gehen?”, war die letzte Frage, auf die sich auch zwei junge, groß gewachsene Männer, die locker über die Menge hinwegsehen konnten, meldeten. “Zwei nebeneinander?” reagierte Dän verwundert. „Wer hat euch gezwungen, wer war schuld?“ Die beiden zeigten nach unten. “Sieht man ja gar nicht”, stellte Dän fest, bis einer der Männer eine junge Frau ein Stück nach oben hob und er amüsiert “Ach so!”, grinste. Bei mir kam sofort die Frage auf, warum die beiden Männer die Frau nicht während des ganzen Konzertes hochhoben, damit sie etwas sehen konnte. War das die Rache dafür, dass sie von ihr zu dem Konzertbesuch gezwungen worden waren? Die beiden Männer hatten jetzt viel Spaß, während ihre Begleiterin mitten in der Menschenmenge versank.
Hallo, Berlin war sehr locker und schön, Monica war auch sehr locker und schön. Es gab viel Gelächter, und beim letzten Akkord von ‘Monica’ flog ein kleines Stofftier auf die Bühne. War rosa und sah aus wie ein Schwein, war aber wohl ein rosa Esel.
Ein neues Lied war seit dem Vortag im Programm. Clemens erklärte, dass es etwas gedauert hätte, seit der Veröffentlichung auf CD, und dass es eine ruhige Nummer wäre, die auf Komik verzichtete. Beim Titel Erzähl mir die Geschichte reagierten viele Zuschauer mit freudigem “Ohhh!”, weil sie gespannt auf die Live-Version waren.
Passend zum ruhigen Lied standen die Wise Guys fast bewegungslos im weiten Halbkreis, und nur Dän als Leadsänger ging schließlich langsam nach vorne und berichtete dem Publikum singend, wie in einem intimen, ruhigen Gespräch mit viel Zeit, von den Vorgängen. Auch im Lied saßen zwei Leute zusammen, die die ganze Nacht Zeit hatten, so dass die Aussage und Atmosphäre sehr unterstützt wurde. Im Saal war nur hin und wieder ein kleiner Huster zu hören, ansonsten gab es aufmerksame Stille. Wunderschön. Es gab großen Jubel im Anschluss an das Lied.
Das war gut drehte die Stimmung wieder auf. Es wurde im Refrain heftig mitgeklatscht und gesungen, aber das wohlerzogene Publikum wartete ab, bis Sari auf die Knie gefallen war, der letzte Ton verklungen war und das Licht aus ging, ehe es jubelnd losplatzte. Die Ordner werden sich wieder gewundert haben, wie diszipliniert die Fans ausflippten. Sofort kam Achtung! Ich will tanzen und es wurde mitgeklatscht und mitgesungen. Ich bin ja nicht so der Fan des Liedes, aber ich muss zugeben, dass es zusammen mit der Choreografie gut wirkt, im Saal kräftige Stimmung auslöst und der Jubel danach immer groß ist.
Eddi machte die nächste Ansage: „Ja, ich wunder mich jedes Mal, dass wir davonkommen mit dieser Nummer“, begann er, und ich grinste breit. Er meinte das zwar anders, nämlich warum sie die Nummer in der Mitte des Programmes hätten, weil sie sich nach der aufwändigen Herumhopserei nicht ausruhen konnten, aber ich grinste trotzdem, weil die Aussage sich fast mit meinen Gedanken deckte, auch wenn die eine andere Richtung hatten. Eddi sprach in der weiteren Ansage davon, dass sie jetzt vom Tanzlied aus dem schottischen Norden östlich nach Skandinavien gingen, und es gab Jubel, als die Anfänge von Alter Schwede zu hören waren.
Ferenc stand im Rampenlicht und aus den vorderen Reihen war deutlich zu sehen, dass er eine aufgerissene Stelle in seinem Hemd hatte. Ich hatte sofort vor Augen, was passiert war. Wahrscheinlich kurz vor dem Auftritt in einem unaufmerksamen Moment in die Hände einiger weiblicher Fans gefallen, die kreischend auf ihn losgestürzt waren, an seiner Kleidung gezerrt und sich verzweifelt an ihn gehängt hatten. Mit Gewalt und im allerletzten Moment hatte er sich nach einem kurzen, heftigen Kampf losreißen und davonstürzen können, war bis in den Backstagebereich gelangt, wo er die große Eisentüre zuwarf, gegen die jetzt die schluchzenden Frauen mit den Fäusten hämmerten und schließlich mit den roten Fingernägeln senkrechte Spuren in das Metall ritzten, wenn sie langsam vor der Türe zusammensanken. Er war mit heiler Haut davongekommen, aber die Spuren der Gewalt konnte man an seinem Hemd erkennen. Wow! Was für ein aufregendes Leben!
Später erfuhr ich, dass ein Stück Geländer am Bühnenaufgang in den Weg geragt hatte und Ferenc daran hängengeblieben war, was mich ein klein wenig enttäuschte.
Noch im dicken Endapplaus gab Sari den neuen Ton an und sie starteten mit Powerfrau, was den Jubel der Fans bei den ersten Tönen zwar kurzfristig phonmäßig erhöhte, dann aber sofort zum Mitsingen führte. Naja, wie überzeugend ein Hausmann in Fettflecken-T-Shirt ist … nee, ich habe schon oft genug über das T-Shirt geschrieben und seufze jetzt nur noch kopfschüttelnd vor mich hin. Dabei wirkt der Sari doch sonst so ordentlich. Vielleicht ist daran auch die Wise Guys-WG gescheitert, von deren Problemen anschließend in Du bist dran gesungen wurde. Schallendes Gelächter beim Publikum und ein großes Vergnügen die Szenen auf der Bühne zu beobachten. Sehr klasse gebracht!
„Tja, unheimlich tragisch war das“, stellte Dän danach fest und wies dann auf den Artikelstand hin, wo es Songbooks gab für Leute, denen die CDs zu laut seien: „Da kann man unsere Musik LESEN“. Als einzige Band in Deutschland hätten die Wise Guys Fleece-Handschuhe im Sortiment. “Bitte schnell kaufen, ehe es endgültig zu warm wird!“ Eddi übernahm, wies auf den Misereor-Stand hin und erzählte vom Indien-Besuch der Wise Guys beim Straßenkinderprojekt in Delhi. Ihm wurde aufmerksam zugehört und er machte das locker, informativ und kurz. „Wer keine Lust hat 2 Euro zu spenden, darf auch 20 Euro da lassen”, schlug er am Ende vor und machte etwas Druck: “Wir führen eine Statistik über die Konzertorte und es wäre natürlich doof, wenn das E-Werk jetzt schlecht abschneiden würde …“ Das Publikum lachte los.
Das letzte Lied vor der Pause war dran, und Clemens kam in kleinen Schritten auf die Bühne geschlurft. Er sah elend aus und im Saal kam fröhliches Gelächter hoch, was nicht sehr mitfühlend war.
Halblautes Singen im Saal unterstütze ihn bei Nur für dich, aber es gab auch nach vielen Sätzen einzelne, laute Lacher, die die Neuhörer auswiesen.
Großes Gejubel am Ende der ersten Konzerthälfte, die Wise Guys grinsten gut gelaunt ins Publikum und gingen dann zur Seite ab. Die Pause verlief so, wie es bei einem Stehkonzert üblich war. In der hinteren Saalhälfte gab es Bewegung und einige Leute gingen hinaus, in der vorderen Hälfte verließ seinen Platz nur, wer es vor Hunger, Durst oder Blasendruck nicht mehr aushielt. Ein immer noch kopfschüttelnder Security-Mann lief mir über den Weg und klagte: „Da sind ja ganz viele Kinder dabei! Wir sind von halbwüchsigen Mädchen ausgegangen und haben extra auf Sanitäter geachtet, falls die umkippen. Und jetzt stehen die alle so rum mit den Kindern dazwischen.“ Tja, dumm gelaufen. Es kollabierte einfach keiner, auch wenn einige spitze Schreie, die hin und wieder aus den ersten Reihen zu hören waren, schon irgendwie bedenklich klangen. Insgesamt war die Atmosphäre aber sehr entspannt und locker. In Einzelfällen kam es zu Revierverteidigungen, aber es wurde nicht ständig gedrängt und geschoben. Warum die meisten Leute aber, egal wo sie stehen, immer einen Großen vor sich haben, der im Bild steht, ist noch ungeklärt. Selbst für die Leute in der ersten Reihe stand ein Großer im Bild, aber der hieß Dän und gehörte dazu. Ist jetzt aber auch egal. Wird Zeit, dass die Pause zu Ende geht. Für ein Stehkonzert war die nämlich mit guten 30 Minuten schon zu lang, denn die meisten Leute konnten sich ja nicht wegbewegen, weil sie ihren Platz behalten wollten. Auch die hinteren Pausengänger kamen zügig zurück, um nicht die Reihe 32 mit der Reihe 47 tauschen zu müssen, weil andere schneller gegessen hatten.
Die Freude war groß, als es endlich weiter ging. Zuerst ging das Saallicht aus, dann das Bühnenlicht an, die Zuschauer jubelten, dann ging das Bühnenlicht aus, die Zuschauer jubelten weiter, und die Wise Guys kamen im Dunkeln auf die Bühne. Es blieb dunkel, und der Applaus fiel plötzlich ab, weil eine abwartende, spannende Stimmung im Raum war. Kaum war es ruhig, begann Dän auf der dunklen Bühne alleine zu singen und ein Spotscheinwerfer stellte ihn sofort in helles Licht. Die anderen Vier standen ruhig auf der Bühne, jeder in eine andere Richtung guckend. Sie waren optisch keine zusammenhängende Gruppe, aber das war gewollt. Sie wurden leicht angeleuchtet und setzten zum Background von Mad world ein. Ein wunderbar kompakter Klang, der ganz klein und spannungsvoll leise, aber auch gewaltig groß werden konnte, ohne dabei die Ruhe zu verlieren.
Im Saal wurde es mäuschenstill. 2000 Leute standen fast bewegungslos und hörten zu. Sehr beeindruckend. Als einzige Geräusche neben dem Gesang war das leise Aneinanderklingen von Gläsern und das Rücken von leeren Getränkekästen zu hören, die eine junge Frau an der Theke verursachte, die wohl unauffällig aufräumen wollte. Schade. Das hätte sie mal lieber bis zum nächsten lauten Lied aufschieben sollen. Trotzdem blieb die Stimmung gebannt. Am Ende wurde das Licht über den Backgroundsängern runtergedreht und nur Dän stand noch beleuchtet, bis der letzte Ton verklungen war. Es gab einen kurzen Moment der Ruhe, dann platzte der Applaus und das Geschrei los. Aber die Wise Guys blieben ernst, stellten sich schnell zusammen und begannen mit dem nächsten Stück, dem Ohrwum. Ein etwas krasser Kontrast zur vorangegangenen Stimmung, der mir ZU krass war. Von anspruchsvoll und ruhig unmittelbar zu lautem Ohrwurm-Liedgut. Allerdings wurde die tosende Begeisterung der Zuschauer sofort in lautes Mitklatschen und Mitsingen umgelenkt, was stimmungstechnisch gesehen vielleicht doch nicht so ungeschickt war, wie mir das als Laie vorkam.
Das Lied war vorbei, wurde laut beklatscht, da grummelte es von hinten aus dem Saal los: „Hallo, hallo, ich bin dein Ohrwurm!”, wurde immer lauter und schwoll zu einem kräftigen Publikumschor an, der durch das hohe, an der richtigen Stelle eingeworfene „Hallo!“ aus der ersten Fanreihe ergänzt wurde. Oh je, die Wise Guys waren fertig, aber das Publikum wollte noch weiter machen. Wie war das jetzt zu stoppen? Clemens dirigierte eine Runde mit, winkte am Ende der Zeile kategorisch ab, wurde aber komplett ignoriert. Er grinste los, verschränkte die Arme und wartete ab.
Dän versuchte es, warf freudig die Arme nach oben, rief dankbar ergriffen: „Es hat funktioniert!! Jaaaa! Die Leute können es!“, und quatschte weiter, so dass die singenden Zuschauer überlegen mussten, ob sie sich dafür interessierten, was Dän auf der Bühne sagte, oder ob sie weitersingen wollten. Die Ersten entschieden sich, kurz mal reinzuhören, die Lautstärke bröckelte weg, und während Dän noch lobte: „Sehr schön, super, meine Damen und Herren, großartig!“, wurde es leise und er konnte mit der Moderation fortfahren. “Das erste Lied war im Original von der Gruppe ‘Tears for fears’ aus den frühen 80ern”, erklärte er, blickte ins Publikum und meinte nachlässig: “Werden die meisten nicht mehr kennen”, woraufhin er leicht protestierendes Gelächter erntete. Aber es stimmte, denn vielen war nur die Coverversion von Gary Jules aus dem Vorjahr bekannt, die häufig im Radio gelaufen war.
Dän zeigte an Beispielen wie ein Mundschlagzeug funktioniert, und der Sound war so eingestellt, dass es richtig gut dröhnte. Wow! Das war rockig und stand einem echten Schlagzeug nicht nach. “Wooooh!”, machten die Zuschauer begeistert und klatschten los. Vom letzten Rhythmusbeispiel ging es sofort in Einer von den Wise Guys über. Bei der Pissoirszene und bei Clemens’ Hocklauf gab es Gelächter und Szenenapplaus, weil es so schön aussah. Am Ende des Liedes brach lauter Beifall los und es waren einige spitze Schreie zu hören. Der Applaus hörte auf, Dän wollte losreden, aber aus den vorderen Reihen gab es noch einige Extraschreie. Eddi verschluckte sich fast beim Wassertrinken, und Dän lachte los, blickte zu den Schreierinnen und meinte amüsiert: „Ihr solltet euch dringend einen guten Chor suchen! So Leute werden gebraucht!“
Die Chocolate Chip Cookies lösten an den richtigen Stellen Gejubel aus, und mir kam die zweite Hälfte des Konzertes noch besser und runder vor. Die Wise Guys waren mit Spaß bei der Sache, und das Publikum machte sehr gut mit. Das war bei dieser hohen Anzahl von Neuhörern fast ein wenig verwunderlich, aber sie ließen sich mitreißen und machten nach, was die erfahrenen Besucher vormachten. Natürlich gab es auch einige Leute, denen man die Freude nicht richtig ansehen konnte und die relativ ruhig, meist im hinteren Teil des Saales herumstanden, aber beim Blick auf die Zuschauermasse zeigte sich überall Bewegung und aufmerksame Aktivität, so dass der Eindruck einer vollen Publikumsbeteiligung erweckt wurde. Die Security entspannte sich, weil nichts Dramatisches passierte, und guckte zum Teil mehr auf die Bühne, als mit strengem Blick in die Zuschauermenge. Ich stellte mich von der Seite kurz an den Rand des Bühnengrabens, um zu fotografieren, da kam einer von ihnen sofort an und raunte mir streng zu: „Gehören Sie dazu?“ Ich nickte und wollte eine kurze Erklärung flüstern, da sagte er genauso streng: „Dann gehen Sie doch ruhig bis vor die Bühne und fotografieren von da! Ist doch viel schöner!“ Wollte ich gar nicht und schüttelte den Kopf, aber grinste dabei überrascht über so viel Entgegenkommen und Freundlichkeit hinter der drohenden Fassade.
Sehr lässig, sehr anklagend und wunderschön beleidigt wurde Zu spät gesungen. Klasse! die Textaussage gefiel vielen weiblichen Fans vermutlich gar nicht, aber sie jubelten trotzdem. Ganz ruhig ging es mit Juli weiter, was übrigens eines meiner Lieblingslieder ist. Auf den ersten Blick sehr einfach, dann aber doch tiefgehend und in seiner Klarheit eines der rührendsten und stärksten Liebeslieder, die ich kenne. Hab ich aber schon fast so oft erwähnt wie meine Gedanken über Saris T-Shirt.
Außer hin und wieder ein paar Hustern oder Räusperern blieb es bei ‚Juli‘ im Saal sehr andächtig leise, allerdings gab es Lacher nach der Zeile „Hätt ich schon wieder Angst vor dem Herbst“, was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Die Aussage ist doch schmerzlich, weil der lang ersehnte Juli dann nicht rundum glücklich erlebt werden kann, sondern die drohende Trennung schon wieder einen Schatten wirft. Ich kann da nur mitfühlend und mitleidend lächeln, aber nicht lustig lachen. Nun gut, irgendwann bemerken das vielleicht auch die letzten Hörer: Es gibt Lieder von den Wise Guys, die sind am Ende NICHT lustig.
Nach dem Schlussakkord blieb es einen Augenblick lang ruhig, dann ging der Applaus gewaltig los. Ein kleines Stoffschwein flog auf die Bühne und zwischen den Beinen von Dän hindurch. Während das Schwein aufgehoben und an den Tisch gebracht wurde, lobte Eddi: “Ja, das ist nett, man merkt an so einer Stelle, dass ihr ein super Publikum seid. Wirklich. Eine kleine Pause nach dem Lied, bevor der Applaus losgeht und ehe die Kuscheltiere fliegen. Das ist immer schön.“ Er sang halblaut: „Hätt ich schon wieder Angst vor dem Herbst“, und warf seinen Oberkörper dabei ruckartig zur Seite. „Es immer blöd, wenn man an so einer kritischen Stelle einem Kuscheltier ausweichen muss.“
“Stellen Sie sich vor, Sie wären im E-Werk und da wäre Disco”, leitete er auf das Lied Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf über. Ich fand die Vorstellung gut, denn gerade mal zwei Wochen vorher hielt ich mich im E-Werk auf, als dort eine Disco stattfand. Die hatte mein Bild der dumpfhämmermusikliebenden Jugendlichen sehr gestört. Die Stimmung im Saal explodierte nämlich ausgerechnet bei Nenas “99 Luftballons”, und ich sah Massen von Jugendlichen abtanzen und die Luft brodeln. Meine Güte, auf DAS Lied hatte ICH schon vor ziemlich vielen Jahren im ungefähr gleichen Alter abgetanzt! Nun ja – vielleicht sollte ich mal weniger vom Thema abschweifen und zu den Wise Guys zurückkehren. Ich wollte ja auch nur sagen, dass mir ‘E-Werk und Disco’ ein gut vorstellbarer Begriff waren.
Sing mal wieder war das Mitmach-Event des Abends. Eddi wollte das Nachsingen seiner Töne natürlich erstmal leiser haben und dämpfte 2000 Stimmen auf niedrigste Lautstärke herunter. Dän schlenderte in der Zwischenzeit zum Tisch, holte in aller Ruhe das Stoffschwein, ging langsam zu Eddi zurück und hielt es ihm vor das Gesicht. Eddi übernahm es sofort freudig und baute es in die Nummer ein. Er sang „Tschu-tschu-detschu-detschu“ vor und drückte beim letzten Ton dem Schwein auf den Bauch, das sofort mit heftigem „Queeek“ reagierte, weil es ein Drück-mir-den-Bauch- und-ich-mach- einen-Ton-Schwein war. Das Publikum war ein Ich-mach-alles- was-der-Typ- da-vorne-verlangt-Publikum und imitierte nach Möglichkeit das Quieken des Schweines. Wunderbar! Nach einigen Runden war es genug und Eddi warf das Plüschtier plötzlich in hohem Bogen nach hinten, wo Ferenc es lässig mit einer Hand auffing und zurück an den Tisch brachte. Das Publikum machte auch ohne Schweinegeräusche unverzagt weiter und wurde wie verlangt lauter, so dass am Schluss die Halle voll mit Gesang und Mitgeklatsche war, das sich lautstärkemäßig nur noch beim Endapplaus steigerte.
„Großartig!“, rief Dän aus. „Phantastisch! Wow! Das war sehr beeindruckend!” Seine Stimme wurde ernster: “Aber ihr müsst bedenken: Ein Wise Guys Publikum besteht aus verschiedenen Generationen, und so lange Ferenc noch den Führerschein hat … “ Er begann zu schnippen und die Fans freuten sich lautstark auf King of the road. Leises Mitsingen unterstützte Leadsänger Ferenc, dabei hätte er das altersmäßig sicher noch alleine geschafft. Langer Applaus belohnte ihn nach dem Stück, der erst von Dän unterbrochen wurde, als er die nächste Ansage machte. Die war traurig, denn er sagte, dass sie am Ende des Konzertes angekommen wären. „Oooooh!“, machten die Zuschauer bedauernd, und Dän erklärte mit ruhiger Stimme: “Wir nehmen in der Konzertgestaltung natürlich Rücksicht auf die zahlreichen Studenten, die morgen pünktlich um acht Uhr in den Vorlesungen sitzen müssen …“ Rufe unterbrachen ihn. „Semesterferien??”, fragte er nach, “Ach so. Na, dann machen wir noch einen.“
Feierabend war das neue Abschlusslied. Südamerikanisch leicht kam es durch den Saal, noch nicht an allen Stellen musikalisch ganz gefestigt, aber trotzdem schon sehr schön und ein Gute-Laune Lied. Und es ging um “Susi Schmidt”, zu der ich etwas anmerken muss. Den Namen fand ich nämlich zunächst ziemlich albern und blöde und hätte ihn gerne gegen einen “normaleren” Namen ausgetauscht. “Susi Schmidt” ist ja wie aus einem Karnevalslied, aber nicht echt. Beim Hören des Liedes im E-Werk wurde mir aber plötzlich klar, dass das ein witziger Name für eine x-beliebige Frau war, ein Synonym. Jeder normale Name hätte persönlicher gewirkt und das Lied ernsthafter gemacht. Plötzlich störte mich “Susi Schmidt” nicht mehr, sondern ich fand es witzig. Richtige Argumente für meinen überraschenden Umschwung habe ich übrigens nicht, die können mir gerne genannt werden, damit ich das gut begründen kann, falls mal einer fragt. Wäre ja doof, wenn der Dän nachfragen sollte: “Und wieso findest du Susi Schmidt jetzt auf einmal gut, während du früher darüber gemeckert hast?” und ich antworten muss: “Weiß ich nicht.” Das wirkt ziemlich unprofessionell.
Die Wise Guys gingen unter dem lautem Gejubel der Zuschauer ab, und in der Halle wurde der “Ohrwurm” angestimmt, was vom leicht johlenden Klang her an Fanchöre in einem Stadion erinnerte. Einstimmen wollten die Wise Guys nicht, als sie auf die Bühne zurückkamen, sondern sie sangen stattdessen Deutscher Meister, was besser zu einem Stadion passte. Ein kräftiger, vielstimmiger Chor begleitete die Hauptsänger, Arme wurden hin- und hergeschwenkt und einige Fußball-Fan-Schals hochgehalten. Riesenstimmung im E-Werk, die die Security dann lärmmäßig doch wieder beruhigend an ein Rockkonzert erinnerte. Im Marsch gingen die Wise Guys nach dem Lied pfeifend von der Bühne ab, und sobald der letzte von ihnen aus dem Blickfeld des Publikums verschwunden war, gab es auffordernde Pfiffe und Zugaberufe. Da sollte sich die Philharmonie mal ein Beispiel dran nehmen! Zu viel Vornehmheit tut nicht immer gut.
Kaum erklangen die ersten Töne von Live and let die, wurde es leise im Saal, auch wenn die Wise Guys noch nicht wieder zu sehen waren. Aber sie kamen natürlich, zogen die spannende Show durch und sangen den Song, den ich mir vorher kaum als A-cappella-Version hätte vorstellen können. Auf keinen Fall so beeindruckend gut. Warum manche Fans immer noch so entsetzt gegen instrumentale Unterstützung bei manchen Liedern stimmen, wundert mich, wenn ich einen so fast instrumentalen Klang von der Bühne höre. Irgendwann hört sich Dän wie ein echtes Schlagzeug an, Sari wie eine Gitarre, und alle jubeln, weil es ohne Instrumente ist, aber wie mit Instrumenten klingt.
Wieder gab es viel Applaus, wieder gingen die Wise Guys ab, kamen unter noch stärkerer Schrei- und Applausfrequenz zurück und peitschten die Stimmung mit Ruf doch mal an noch weiter hoch. Bei der Hüpfstelle hüpften so viele Zuschauer gleichmäßig mit, dass das ganze E-Werk synchron in Hüpfbewegung schien. Klasse! Tosender Applaus danach bei den Einzel- und der gemeinsamen Schlussverbeugung. Abgang der Wise Guys, weiterhin tosender Beifall und Zugaberufe. Nach einer Weile kamen die Wise Guys zurück auf die Bühne und stimmten Jetzt ist Sommer an. Kein Zuschauer blieb sitzen, alle standen! Zugegeben, bei einem Stehkonzert nicht wirklich ein Zeichen für Zustimmung und gute Laune, aber die aufgedrehte Atmosphäre war da.
Am Ende des Abends applaudierten die Zuschauer den Wise Guys und die Wise Guys den Zuschauern. Es gab eine La Ola Welle, dann setzte der Ohrwurm-Refrain ein, und während die Wise Guys singend abgingen, konnten sie schon sicher sein, dass sie kurz danach zurückkehren würden, weil die Zeile lautstark vom Publikum weitergesungen würde.
War auch so. Die letzte Ohrwurm-Strophe wurde also noch gebracht, gemeinsam gesungen und am Ende vom Publikum beklatscht, dann rief Clemens: “Dankeschön und tschüss!”, sie winkten kurz und zogen endgültig ab. Die Zuschauer akzeptierten das oder hatten zu großes Mitleid mit Dän, der zwar glücklich lachte, aber doch irgendwie erschöpft aussah.
Der Afterglow fand im Foyer statt, wo es noch Getränke gab, Gespräche, gemeinsame Fotos und Autogramme, und er war nicht so voll, wie ich das bei 2000 Konzertbesuchern gedacht hätte.
Fazit: Ein schönes Konzert mit toller Stimmung. Gesangstechnisch nicht immer perfekt, aber mitreißend und wirklich lohnenswert. „Es hatte nur einen Fehler“, bemerkte eine Besucherin danach, „es war zu kurz!“ Wenn das kein gutes Urteil ist. Im nächsten Jahr soll es wieder ein E-Werk-Konzert geben. Klasse!
Wo der Pfeffer wächst
Was für eine Nacht
Du kannst nicht alles haben
Hallo, Berlin
Monica
Erzähl mir die Geschichte
Das war gut
Achtung! Ich will tanzen
Alter Schwede
Powerfrau
Du bist dran
Nur für dich
Mad world
Ohrwurm
Einer von den Wise Guys
Chocolate Chip Cookies
Zu spät
Juli
Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf
Sing mal wieder
King of the road
Feierabend
Deutscher Meister
Live and let die
Ruf doch mal an
Jetzt ist Sommer