Wolf Maahn – Zauberstraßen – 15.10.2004 – Bonn
Harmonie, Bonn
Wolf Maahn war mir ein Begriff. Der war Musiker, Sänger und Produzent, ich kannte einige seiner früheren Lieder, und wenn sein Name auftauchte, dachte ich immer als Erstes: “Mit den längeren Haaren sieht der ziemlich sexy aus.“ Das war peinlich oberflächlich gedacht, aber ich bin nun mal so. Danach überlegte ich meistens noch, ob sein Nachname mit einem oder zwei A geschrieben wurde, weil die Schreibweise mit Doppel-A, falls sie wirklich richtig war, irgendwie komisch aussah. Aber das wird jetzt komplizierter und ich höre lieber auf meine Gedankengänge zu beschreiben. Auf jeden Fall hatte ich ihn noch nie live gehört.
Das änderte sich, als ich in der Bonner ‘Harmonie’ vor meinem ersten Wolf-Maahn-Konzert stand. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Was für Musik machte er heute? Seine neue CD hieß ‘Zauberstraßen’ und der Titel hörte sich ziemlich soft und verträumt an. Gab es nur noch sanfte Klänge von Wolf Maahn? Und vor allem: Waren seine längeren Haare inzwischen einer Kurzfrisur gewichen?
Die ‘Harmonie’ war nicht riesig und hatte einen intimen, exklusiven Charakter, so dass ich mich sofort wie bei einem Clubkonzert fühlte. Aus “Von-da-seh-ich-besser-weil-keiner-vor-mir-steht” -Gründen wollte ich lieber nach oben auf die kleine Galerie, und mein Gatte wollte aus “Ich-seh-auch-hier-gut-komm-aber-dir-zuliebe-mit-ehe-du-gleich-meckerst-weil-ein-Großer-vor-dir-steht” -Gründen auch dort hin. Die Fläche unter uns füllte sich mit immer mehr Leuten, von denen keiner drängelte oder sich mit Gewalt bis nach vorne kämpfte. Alles war entspannt und nett.
Das Saallicht ging aus und vom Band begann laut ‘Imagine’ von John Lennon. Mein Gatte und ich grinsten uns an. Das war doch schon mal ein gutes Zeichen für die Musikrichtung. Ein bassiger, starker Rhythmus setzte ein, und das Publikum begann sofort laut mitzuklatschen. Auf die Zwei und die Vier! Ich registrierte das erstaunt, denn so ein gutes Feeling war bei deutschem Konzertpublikum nicht unbedingt üblich. Da stiegen sonst immer viele fröhlich auf die Mitklatsch-Eins und -Drei ein.
Die vier Musiker und Wolf Maahn kamen auf die Bühne und wurden jubelnd begrüßt. Sie fingen sofort an, der Rhythmus knallte, der Bass klopfte im Bauch, es ging heftig ab – und ich verstand kaum etwas von dem, was Wolf Maahn sang. Zum Glück war die Musik klasse und durch den sehr exakten, scharf begrenzten Rhythmus gut zu hören, nur mit der Sprachverständlichkeit haperte es. Mein Gatte verließ den optisch guten Platz auf der Galerie und ging zum Testhören in den Innenraum. “Da ist es viel besser und man kann alles verstehen”, sagte er, als er kurz danach zurückkam. “Es liegt an dem Platz hier oben.” Wir blieben trotzdem, denn es machte auch von oben Spaß, das Konzert zu erleben. Und natürlich hatte ich längst zufrieden festgestellt, dass Wolf Maahn immer noch sehr sexy aussah.
“Hallo, Träumer, hallo, Schwärmer, hallo, Bonn!” rief er ins Publikum, das stürmisch jubelte. Seine Musik war noch funkiger geworden, als ich sie von früher kannte. Auch die schnodderige Stimme und die gezogenen Töne waren stärker geworden, und ich fand das gut. Eine eigene Persönlichkeit, die selbstbewusst das machte, was sie wollte.
Lang und schmal stand er auf der Bühne, war der von Scheinwerfern angestrahlte Mittelpunkt des Geschehens und steuerte von dort aus das Konzert. Es war für mich verwunderlich, dass er sanft und lässig wirkte, seine Mitarbeiter neben der Bühne aber konzentriert auf winzigste Gesten achteten und sofort darauf reagierten. Sie reichten fast hektisch Gitarren auf die Bühne, schraubten Mikros fest, nahmen seine Jacke entgegen oder hielten sie ihm so hin, dass er direkt reinschlüpfen konnte. Das hatte schon etwas Unterwürfiges, das bei mir ein komisches Gefühl auslöste. Allerdings waren sie mit so viel Eifer und Freude bei der Sache, dass es dann doch wieder faszinierend war.
Wolf Maahn schien ganz genaue Vorstellungen vom Ablauf und der Qualität des Konzertes zu haben, die er nicht zur Diskussion stellte, sondern einfach durchzog. Ich hatte schnell das Gefühl, dass man als Mitarbeiter bei ihm voll mitziehen musste, dann aber auch sehr viel Spaß an der Arbeit mit ihm zusammen hatte. Das musikalische Ergebnis war jedenfalls hervorragend. Die Beats knallten, es war rockig, fetzig und klasse.
Während die normale Körperhaltung von Wolf Maahn sehr lässig war und er auch weiche Bewegungen machte, wenn er sich über die Bühne bewegte, veränderte sich die Haltung, sobald er Gitarre spielte. Abgesehen von seinem Handgelenk, das extrem schlackernd und völlig unüblich schnell über die Saiten raste, wurde seine Haltung angespannt und fest. Oben sang er schnodderig und lässig, darunter spielte kurze, exakte Rhythmen. Seine Musiker nahmen das auf, der Schlagzeuger knallte ebenso exakt und kurz, und die ganze Galerie vibrierte im Rhythmus der Musik.
Seine Musiker waren toll und verloren sich nicht in ewigen Soli, was sonst besonders Gitarristen gerne taten. Der Gatte stellte zufrieden fest: “Der Bass macht wenig, aber das punktgenau!” Mit Schlagzeug, Bass und hin und wieder einer Rhythmusmaschine gab es einen hervorragenden Grundrhythmus, der das Publikum abgehen ließ. Sehr textsicher sangen die Zuschauer mit, und manchmal überließ ihnen Wolf Maahn die letzte Zeile und grinste zufrieden, wenn sie sehr laut einsetzten und der Klang den Raum füllte.
Bei einem Stück bekam Wolf Maahn von der Seite eine Gitarre gereicht, setzte mit dem ersten Akkord ein und hob sofort den Arm hoch und brach das Lied ab. Die Gitarre war verstimmt. Er grinste lässig ins Publikum: “Ich bin abgebrüht genug zu sagen: Lass uns stimmen!” Während alle warteten, drehte er die Saiten hoch und erzählte völlig stressfrei: “Irgendwie gemütlich. Ich bin ja schon länger dabei. Früher hab ich mich bei solchen Situationen immer komisch gefühlt. Heute ist mir das scheißegal.” Die Zuschauer lachten vergnügt und er hörte sich sein Stimmergebnis an. Nee, das war noch nichts. Er drehte weiter und erzählte: “Ich genieße das sogar. Wusstet ihr, dass der Rekord von Bob Dylan beim Stimmen bei 45 Minuten liegt?” Er testete erneut, stellte zufrieden fest: “Doch, ist besser geworden!”, und es ging sofort wieder weiter.
Es war ein richtig gutes, rockiges Konzert, bei dem ich gerne noch mehr von den Texten verstanden hätte, weil die bei Wolf Maahn sicher nicht unwichtig waren. Nach mehreren Zugaben gab es auf der Bühne einen verschwitzten Wolf Maahn, dem der Abend anscheinend viel Spaß gemacht hatte, ein begeistert jubelndes Publikum und eine supertolle Stimmung in der Harmonie.
Es gab eine letzte Verbeugung, den Ruf: “Ihr wart phantastisch, Bonn!”, einen winkenden Abgang, das Saallicht ging an und ‘Jealous Guy’ von John Lennon kam laut vom Band.
Mit nur ganz leicht tauben Ohren, aber einem guten Gefühl im Bauch, verließen wir den Saal und hatten einen richtig guten Abend erlebt. Das war Musik, die klasse gemacht war, von einem Musiker, der es einfach konnte. Dass der daneben auch noch mit langen oder kurzen Haaren sexy war und sehr natürlich und echt rüberkam, machte den Abend zu einem sehr schönen Erlebnis. Klasse!