Dirk Bach liest Walter Moers – 24.09.2004 – Köln
Die Stadt der träumenden Bücher
Gloria, Köln
Es war kurz vor 19 Uhr und ich stand im Foyer des Gloria-Theaters. Warum war es so leer? Hatte ich das Schild übersehen, das den Ausfall der Lesung anzeigte? Nein, die Veranstaltung schien wie geplant um 20 Uhr zu beginnen, aber warum stand ich hier noch alleine? Hey, für Dirk Bach würde ich Stunden anstehen! Das schien in diesem Fall aber gar nicht nötig zu sein. Kaum war ich fertig mit meinen grüblerischen Überlegungen, kam Dirk Bach von draußen ins Foyer, begrüßte freundlich lächelnd ein paar Leute und verschwand mit ihnen im Innenraum. OK, er war da, ich war da, die Lesung konnte auf jeden Fall stattfinden.
Wer bei Dirk Bach nur an witzige Sketche dachte, kannte ihn nicht. Für mich war er ein wirklich großartiger Schauspieler, der umwerfend lustig, aber auch sehr berührend ernst sein konnte. Seit er in Köln bei der „Geierwally“ gespielt hatte, war er mir ein Begriff, und ich verfolgte interessiert seinen künstlerischen Werdegang. Eine Szene aus dem schrägen Rotkäppchen-Report, den ich mir 1989 im Theater angesehen hatte, beeindruckte mich bis heute. Er kam als Gretel auf die Bühne, die den Förster aus der Rotkäppchen-Geschichte geheiratet hatte. Das Publikum schrie vor Vergnügen, als er in kurzem, bunten Dirndl und mit langen blonden Zöpfen herumsprang. Dann holte er sich ein Bügelbrett, begann Hemden zu bügeln und erzählte mit hoher Stimme vom Leben mit dem Förster. Innerhalb weniger Minuten war es im Saal totenstill. Der Förster war ein totaler Macho, aber der kleine, dicke Mann, der als Gretel dort stand, lächelte beim Erzählen, versuchte alles zu entschuldigen und tapfer die guten Seiten zu finden. Das war so traurig und so voller Tragik und Größe, dass ich ganz betroffen war und fast losgeheult hätte. Direkt danach puschte Dirk Bach alles wieder hoch, brüllendes Gelächter erfüllte den Saal, und ich wusste, dass er das Publikum durch sein Können voll in der Hand hatte.
Ich mochte seine ganze Art, liebte seine witzigen Sketche, seine humorvollen Moderationen, aber ganz besonders die ruhigeren Serienrollen, in denen er wunderbar leise Stellen spielen konnte. Und jetzt also eine Lesung. Im Gloria wollte er aus “Die Stadt der Träumenden Bücher” vorlesen, dem neuen Buch von Walter Moers. Walter Moers Bücher kannte ich nicht. Natürlich hatte ich einige Titel gehört, wusste, dass der Käpt’n Blaubär von ihm war und auch, dass Dirk Bach die Bücher sehr mochte, aber irgendwie hatte es noch nie eines davon zu mir geschafft.
Kaum saßen wir, fragte mein Gatte: “Wer ist der Autor? Kennt man den?” Ich zuckte mit den Schultern: “Ist völlig egal. Dirk Bach liest – der könnte das Telefonbuch lesen!” Dieser kurze Dialog zeigte deutlich, dass ich einerseits nicht speziell am Autor interessiert war und andererseits größtes Vertrauen zu Dirk Bach hatte. Aber ich war ja grundsätzlich neuen Sachen gegenüber aufgeschlossen und so fand ich es sehr praktisch, dass ich gleichzeitig einen Eindruck von Walter Moers bekommen würde.
Ein Herr, wahrscheinlich vom Piper-Verlag, bereitete kurz auf den Abend vor und sagte: “Ich weiß, dass es wahrscheinlich unnötig ist, Ihnen Walter Moers vorzustellen.” Ähhh … nee, es saßen Leute mit Bildungslücken im Publikum, auch wenn man ihnen das vielleicht nicht sofort ansah. Allerdings musste er mir dafür nicht Dirk Bach vorstellen, und dass Dirk Bach bekennender Walter Moers Fan, und Walter Moers bekennender Dirk Bach Fan war, hatte ich mir auch schon gedacht.
Es ging los. Dirk Bach kam unter viel Applaus auf die Bühne, setzte sich an den Tisch, rückte das Buch zurecht, schob einige lose Blätter und zwei Wasserflaschen herum, setzte die Brille auf und begann. Die Geschichte spielte in dem Phantasiereich Zamonien. Es ging um Bücher, Literatur und um das Geheimnis eines verschwundenen Manuskriptes. Schon das Vorwort gefiel mir. Sehr schöner Humor, spannend und wunderbar formuliert.
Dirk Bach las einfach klasse. Er lebte es, las schnell und betont, machte genau an den richtigen Stellen Pausen, verzögerte, hatte Staunen in der Stimme oder Härte oder Zartheit. Eine freundliche, warme Geschichtenerzählerstimme, an der ich gebannt hängen blieb. Außerdem musste ich schnell zugeben, dass “Die Stadt der Träumenden Bücher” eindeutig besser als jedes Telefonbuch war. Ich wurde sofort zu einem der “wagemutigen Weggefährten”, die Hildegunst von Mythenmetz auf der Wanderung begleiteten. Ich sah die spitzgiebeligen Häuser von Buchhaim am Horizont vor mir, spürte die kühle Luft in den verwinkelten Gassen und wusste genau, wie es im kuschelig warmen Wohnzimmer war, wo man bei einer Tasse Kaffee lesend vor dem Kamin saß.
Walter Moers Liebe zu Büchern und Geschichten war auf jeder Seite zu spüren. Die ‘Träumenden Bücher’ waren alte Exemplare, die in Antiquariaten lagen und “die eigentliche Existenz hinter sich und den Zerfall vor sich hatten”. Sie erwachten zu neuem Leben, wenn sie geholt und wieder gebraucht wurden, ein Gedanke, den ich sofort nachvollziehen konnte. Walter Moers wurde mir immer sympathischer.
Dirk Bach las lange Passagen aus dem Buch vor und verband sie durch kurze, erklärende Zwischentexte, damit die Zuhörer nicht aus dem Fluss der Geschichte kamen. Ich hörte interessiert zu, bemerkte nach einiger Zeit aber, dass ich in dieser Woche eindeutig zu wenig Schlaf bekommen hatte. Zum ersten Mal seit Tagen saß ich ruhig und untätig herum und guckte auf ein Bild, das sich kaum veränderte. Zuerst wünschte ich mir eine Stütze, an die ich meinen Kopf anlehnen könnte, dann ein Bett. Jetzt kuschelig in eine Decke gerollt zu liegen, der vertrauten, ausdrucksvollen Stimme von Dirk Bach zu lauschen, irgendwann die Augen zu schließen und dann mit den Bildern im Kopf sanft hinwegdämmern in die Traumwelt von Buchhaim … Ich war echt müde, aber es lag nicht an Dirk Bach oder Walter Moers, sondern an der ereignisreichen Woche, die hinter mir lag.
Trotzdem hörte ich weiterhin aufmerksam zu, und das Einzige, das mir nicht so gut gefiel, waren die seltsamen Namen, die in der Geschichte auftauchten. Um mich herum gab es vergnügtes Gelächter darüber, aber mir kamen sie unübersichtlich, verwirrend und irgendwie albern vor. Dönerich Hirnfiedler, Sanotte von Rüffel-Ostend oder T.T. Kreischwurst – das brachte mich nicht wirklich zum Lachen. Aber wahrscheinlich hatte ich nur noch nicht genügend Kenntnisse der zamonischen Welt oder verstand den Witz darin nicht. Ich hätte es aber noch alberner gefunden, von Walter Moers Namensänderungen zu verlangen, da sich die meisten erfahrenen Moers-Zuhörer begeistert zeigten. Lag wohl an mir.
1 1/2 Stunden sollte die Lesung dauern, nach 2 1/4 Stunden ohne jede Pause war Dirk Bach fertig. Ich auch. Der Sitz hatte sich schon nach einer Stunde als nicht sonderlich gemütlich herausgestellt und ich musste dringend mal aufstehen, die Arme und Beine bewegen und frische Luft an den Kopf bekommen. Schon der laute Endapplaus, bei dem ich meinen Kreislauf in Schwung brachte, machte mich wieder fitter und wacher. Dirk Bach klappte das dicke Buch zu und grinste: “Gleich gibt es den absurdesten Teil der Veranstaltung: Ich signiere die Bücher von Walter Moers. Ich bin nicht nur seine Stimme, ich bin auch seine Unterschrift.”
Neugierig geworden auf die komplette Geschichte von Walter Moers, holte ich mir natürlich eines der dicken Buchexemplare und grinste erfreut, als ich es aufblätterte. Nicht nur, dass es von außen wunderschön aussah, innen gab es s/w-Illustrationen, die ein wenig altmodisch aussahen und mich sofort an einige meiner frühen Kinderbücher erinnerten. Ein völlig vertrautes Gefühl, und das Buch kam mir sofort nicht mehr fremd vor.
Dirk Bach signierte die Walter Moers Bücher, unterhielt sich freundlich und ohne Zeitdruck mit den in einer Reihe anstehenden Buchkäufern, und es war ein netter, gemütlicher Abschluss des Abends.
Mit Dirk Bachs Stimme im Ohr und Walter Moers‘ Buch im Arm kam ich nach Hause und freute mich auf die nächsten Herbstwochen. Ich hatte zwar kein Wohnzimmer mit Kamin und Kaffee, aber einen großen Küchentisch in der geheizten Küche und dazu dann eine duftende Kanne Tee. Das würden schöne Stunden werden, wenn ich an kalten Tagen durch Buchhaims Labyrinthe irrte. Nur schade, dass ich selber lesen musste, und mir das nicht von Dirk Bach vorlesen lassen konnte.