Berichte

Kölle live – 18.09.2004 – Köln

Wise Guys, Bläck Fööss, Brings, LSE u.a.
Rhein-Energie-Stadion

KÖLLE LIVE 2004. Das kölsche Musik-Event. “45.000 frenetische Fans werden singen, feiern, schunkeln, tanzen und dem Namen RheinEnergieStadion alle Ehre machen. Acht Stunden Hit an Hit: Am 18. September 2004 wird in Müngersdorf ein neues Kapitel Kölner Musikgeschichte geschrieben!”

Was mich im Vorfeld zu Kölle live am meisten nervte, war die penetrante Werbung. Monatelang bekam ich überall in Köln Flyer zugesteckt, die auf die Veranstaltung hinwiesen. In jeder Woche standen große Berichte in Zeitungen, die mir erzählten, dass ich mich nun schnellstens um Tickets bemühen müsse, da der Vorverkauf schon ganz gewaltig liefe. Es schien einen gigantischen Ticketkochtopf zu geben, der die ständig gut verkauften Eintrittskarten wie bei einem nie endenden Hirsebreifluss weiter ausspuckte. Schon Wochen vor dem Termin hatte ich werbungstechnisch das Gefühl, dass mindestens zwei Milliarden Tickets verkauft sein mussten und die Interessenten immer noch Schlange standen. Also nee. Man kann auch zu viel Werbung machen und damit unglaubwürdig und nervig werden.

“5 Konzerte zum Preis von 1! Höhner, Bläck Fööss, Brings, Wise Guys, LSE” Dazu gab es noch Jürgen Zeltinger, den Jugendchor St. Stephan, die Cheerleader des 1. FC Köln, Dudelsackpfeifer, die Junge Sinfonie und Linus als Moderator. Was war denn das für eine Zusammenstellung? Das war zwar alles „Köln“, aber musikalisch sehr verschieden. Ich kannte Leute, die gingen genau wegen der Gruppen hin, auf die ich am liebsten komplett verzichtet hätte. Wie sollte das Konzert bei solchen Voraussetzungen richtig erfolgreich werden? Außerdem befürchtete ich, dass ein Großteil der Besucher nicht gerade Lust auf gute Musik haben würde, sondern lieber mit lautstarker Musikunterstützung und kölschem Liedgut feiern wollte.

Am Tag vor dem Konzert begannen die Soundcheck im Stadion. Während die große Rasenfläche noch aufwändig mit einem Schutzbelag versehen wurde, damit auch die Fußballspieler danach noch ihren Spaß im Stadion hatten, sangen und spielten die ersten Gruppen ihre Stücke an, um den Ton für den nächsten Tag möglichst passend einzustellen. Dabei ging es nicht nur um den Sound im Zuschauerbereich, auch die Monitore auf der Bühne mussten so eingestellt werden, dass der Klang dort gut zu hören war.

Als die Wise Guys kamen, waren gerade noch die ‘Höhner’ zusammen mit der ‘jungen Sinfonie’ dran. Obwohl sich sehr viele Menschen auf der Bühne befanden, sahen sie in dem riesigen Bühnenaufbau klein und sehr unscheinbar aus. Unten wuselte das Leben, darüber war ganz viel leerer Raum bis zum Bühnendach.

Die ‘Höhner’ probten mit der Sinfonie ihren gemeinsamen Finalsong, und der von Lautsprechern verstärkte Klang war unglaublich laut und hallte rundherum von den oberen Stadiondächern gewaltig zurück. Sehr beeindruckend, aber auch unheimlich. Nach dem letzten Ton gab es einen Nachhall von bestimmt 10 Sekunden, und ich dachte: “Wow!” Und: “Wenn das mal gut geht!”

Der Soundcheck der Wise Guys begann, und es stellte sich heraus, dass es diesen gewaltigen Hall nicht nur im Zuschauerbereich, sondern auch auf der Bühne gab. Das war mit Instrumenten vielleicht noch einigermaßen zu verkraften, wenn man sich darauf verlassen konnte, dass der gespielte D-Dur-Akkord auch D-Dur war, aber fünf Stimmen in diesem Klangbrei harmonisch aufeinander abzustimmen, war nicht einfach.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis die Wise Guys alles so eingestellt hatten, dass es den in diesem Fall bestmöglichen Klang hatte. Der Hall war immer noch erschlagend, aber das konnte am nächsten Tag viel besser sein, wenn die Zuschauerränge voll mit Publikum, in diesem Falle Dämmmaterial waren. Der Zuschauer in der Rolle des Eierkartons im heimischen Kellerstudio.

Als der Soundcheck beendet war, warteten schon die Bläck Fööss an der Rampe, um die Bühne zu übernehmen. Die Wise Guys wirkten nicht gerade euphorisch, sahen dem nächsten Tag aber trotzdem recht optimistisch entgegen. Auf jeden Fall waren sie nicht zu leise gewesen. Das war ja schon mal was, denn die anderen Gruppen hatten alle instrumentale Verstärkung.

 * * *

Der Samstag als Konzerttag zeigte sich in strahlendem Sommerwetter und war richtig schön warm. Wer nicht zu den zwei Milliarden Ticketkäufern gehörte, der im Vorfeld gekauft hatte, konnte sich spontan an der Abendkasse entscheiden, bei der es immer noch ausreichend Nachschub gab.

Die Künstler hatten ihre Garderoben im unteren Bereich des Stadions, in dem sonst die Fußballspieler untergebracht waren. Angeklebte Papierschilder an den Türen zeigten, welche Musikgruppe jetzt rein gehörte. Die Wise Guys waren in einem Raum untergebracht, der sonst für “Ärztliche Untersuchung” genutzt wurde. Es gab aber weder Zahnarztbohrer, noch Koffer-Röntgengerät, nur Tische und Stühle.

Eine Etage darüber war der Presseraum zum Cateringbereich geworden. Hier hielten sonst Spieler und Trainer ihre Pressekonferenzen ab, von denen ich manchmal Ausschnitte im Fernsehen sehen konnte. Jetzt gab es den ganzen Tag lang warme und kalte Verpflegung, und an den Tischen saßen technische Mitarbeiter und Künstler, um Kaffee zu trinken, etwas zu essen, oder einfach die Zeit rumzukriegen.

Im Innenbereich des Stadions gab es den ersten Ärger. Um 13:30 Uhr waren die Eingänge geöffnet worden und die Besucher kamen nach und nach ins Stadion. Es hatte Karten für verschiedene Sitzplatzkategorien gegeben, sowie für den Innenbereich. Vor der Bühne waren Metall-Drängelgitter aufgebaut, die den Bereich in Abschnitte unterteilten. An sich ja keine schlechte Idee, aber die Organisatoren hatten sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Die Besucher sollten an den Eingängen gefragt werden, ob sie in den vorderen Bühnenbereich 1 kommen wollen, in den Bereich Nummer 2 dahinter, oder in den restlichen Innenraumbereich, in dem sich auch die Getränkestände befanden. Entsprechend ihrem Wunsch wurden sie dann entweder mit einem grünen Plastikarmband für den Bereich 1, einem gelben für den Bereich 2, oder mit gar keinem für den großen Hauptbereich gekennzeichnet. Ordner an allen Übergängen passten auf, dass sich niemand in den falschen Bereich schlich.

Das Problem war, dass die meisten Zuschauer am Eingangsbereich nicht nach ihrem Wunschbereich gefragt wurden. “Der hat mir am Eingang gesagt, wenn ich kein gelbes Plastikarmband nehme, komme ich nicht rein!” beschwerte sich eine Frau, die sich im Bereich 2 gefangen sah und nicht zu ihren Freunden in den Bereich 1 gehen durfte. Eine andere stand im Übergang zum Bereich 3 und meckerte sauer mit dem Ordner: “Muss ich mir jetzt das blöde Plastikding abreißen, damit Sie mich hier durchlassen?”

Im Bereich 3 standen dagegen enttäuschte Besucher, die nach vorne an die Bühne wollten, aber kein grünes Armband bekommen hatten und nun vor der Drängelgitter-Barriere stehen bleiben mussten. “Ich habe 35 Euro für den Innenraum bezahlt, und jetzt darf ich mir nicht mal aussuchen, wo ich mich hinstelle!”, motzte ein Mann, und ein anderer fragte ungläubig nach, als er erfuhr, dass er nicht zu seinen Bekannten am sonnigen Bierstand im Innenbereich gehen durfte, sondern für ihn der Pavillon im überdachten Bereich zuständig war.

Dass man die beiden vorderen Bereiche bei zu hohem Andrang absperren konnte, war im Prinzip eine gute Idee, aber einige Leute zwangsweise dort einzupferchen, die lieber in einem anderen Bereich gewesen wären, war ziemlich blöde organisiert. Außerdem waren die beiden vorderen Bereiche nicht mal halb voll, so dass viele Leute, die sehr gerne nach vorne gegangen wären, dort auch locker einen Platz gefunden hätten.

Das Stadion war noch lange nicht voll, da kam um 14:30 Uhr ziemlich pünktlich der Moderator Linus auf die Bühne und begrüßte das Publikum. Als erster Programmpunkt war Jürgen Zeltinger mit seiner Band da, und es wurde laut. Sehr laut. Und hallig. “Der Klang ist saumäßig!”, sagte jemand neben mir und ich nickte zustimmend. Zeltinger grölte, der Hall füllte das Stadion, und die Songs klangen hart und laut wie knalliger Punk. Ich verstand kein Wort. Immer nur ein gröliges Sprachgemisch mit einem phonetischen Endreim. “Munamadimillemesse, hunamadifidifresse….” Häh?? Das war also das “Programm für die ganze Familie”.

Zur Unterstützung des Liedes ‘Müngersdorfer Stadion’, kam der Jugendchor St. Stephan zu Zeltinger und seiner Band auf die Bühne. Dass das Stadion inzwischen RheinEnergieStadion hieß, konnte verständlicherweise nicht berücksichtigt werden. Vorne wurde von Zeltinger abgerockt, hinten kamen, ordentlich in einer Reihe, die Jugendlichen dazu und schwenkten große, rot-weiße Fahnen. Es war ein farbenfrohes Bild und sah aus, wie ein Aufmarsch zum ‘Tag der Arbeit’ in der DDR. Hören konnte man vom Chor nicht viel, aber er war wohl sowieso eher für die Optik da. Ein schöner Kontrast zu den schwarz angezogenen Zeltinger-Rockern.

Nach nur 15 Minuten war die Zeltinger-Dröhnung vorbei, und der Jugendchor St. Stephan führte sein eigenes Programm vor. Der Chor hat viele Fans, und ich finde das auch sehr gut, wenn Jugendliche Musik machen und damit eine schöne, sinnvolle Freizeitbeschäftigung haben. Sie machen das in dieser Gruppe auch immer recht poppig und haben recht gute Solostimmen dabei, aber meins ist es trotzdem nicht. Das ist mir zu seicht, zu viel auf Show aufgebaut und zu leichte Unterhaltungskost. Damit will ich jetzt keinen von den Jugendlichen beleidigen, weil es bestimmt Spaß macht, in dem Chor zu singen und viele Auftritte und CD-Aufnahmen zu haben, aber mit dem Potential könnte man auch richtig gut mehrstimmig singen und müsste nicht eine Art ‘Best-of-Andrew-Lloyd-Webber’-Programm vorführen. Aber wie gesagt, ist ja alles Geschmacksache. Moderator Linus rief zur Abmoderation: “Das ist Gänsehaut pur!” und ich nickte, denn die konnte man ja aus verschiedenen Gründen kriegen.

Die Bläck Fööss kamen, und ich war sehr gespannt. Mein letztes Bläck Fööss Konzert lag viele Jahre zurück, als noch Tommy Engel der Frontman war. Wahrscheinlich ahnten die Bläck Fööss meine inneren Zweifel und handelten sehr geschickt, indem sie ihre alten Hits spielten. Die kannte ich in- und auswendig und mir ging sofort das Herz auf. Hey, da stand ein Teil meiner Jugend und spielte die Lieder, die mich seit Jahren begleiteten. Mir persönlich fehlte zwar Tommy Engel, der bei meinem letzten Konzert ja noch vorne gestanden hatte, und es kam mir vor, als wäre die Gruppe irgendwie nicht komplett, aber was ich hörte, fand ich sehr schön.

Die Stimmung im Stadion war plötzlich richtig gut. Der Klang zwar immer noch recht hallig, aber auch auf den hintersten Rängen sangen Zuschauer mit und schwenkten die Arme im Takt. Die Bläck Fööss trafen die kölsche Seele. Sogar einige Ordner guckten streng in die Menge und sangen dabei wie selbstverständlich die vertrauten Texte mit. ‘Dat Wasser vun Kölle’ wurde so laut mitgegrölt, dass es sich schon fast wie bei Fangesängen aus der Südkurve anhörte.

Blauer, wolkenloser Himmel, strahlende Sonne, Mitgesinge, gute Laune – das war ein echtes Sommer Open Air. Zum Ende des Auftrittes kamen die ‘Caledonian Pipes’, eine Gruppe von Dudelsackspielern dazu, und es ging nochmal richtig ab.

Währenddessen machten sich die Wise Guys fertig für ihren Auftritt. Wo sonst die FC-Spieler im Dauerlauf zum Rasen hochrannten, gingen sie gemächlich die Stufen hoch, hörten den letzten Takten der Bläck Fööss zu und liefen dann in Richtung der Bühne, um dort im Hintergrund auf ihren Auftritt zu warten.

Zur gleichen Zeit ging Linus mit einem Kameramann zu den Garderoben, um ein Interview zu machen, welches live nach draußen auf die Leinwände übertragen wurde. “Mal schauen, wen wir hier haben”, sagte Linus mit großem Blick in die Kamera, bevor er die Garderobe betrat, und war sehr überrascht, als er auf die Jungs von Brings traf. Dabei stand das doch an der Tür. Außerdem hatten sie am Nachmittag schon davon gesprochen, dass er in die Garderobe käme, um ein Interview zu machen. Die Brings standen ebenfalls völlig überrascht hinter einem Laken und ließen nur die Köpfe sehen. Nachdem sie mehrfach betont hatten, dass sie in der Garderobe ganz brave Familienväter seien, kamen einige Cheerleader-Mädchen des 1. FC Köln hinter dem Laken hervorgesaust und rannten aus dem Raum in Richtung Stadionbühne. Linus war schon wieder total überrascht.

Als die Mädels auf der Bühne angelangt waren, wo schon ihre Kolleginnen warteten, gab es ein kurzes Cheerleader-Tanzprogramm, in dem einige Karnevalshits und einige Musikaussetzer vorkamen. Die Mädchen hatten fast alle lange Haare und kurze Röckchen, sprangen strahlend lächelnd über die Bühne und puschelten herum. Kurz vorher hatten sie sich im Spielerbereich aufgewärmt und eingetanzt, wobei sie schon perfekt eingekleidet und geschminkt waren, viele von ihnen die Haare aber noch auf große, bunte Lockenwickler gedreht hatten. Zum Glück hatte keine von ihnen verpasst die Wickler zu entfernen und so konnten alle Haare locker und seidig durch die Luft schwingen. Einer der Kameramänner kam bei der Suche nach dem optimalen Bild zu nah und bekam bei laufender Kamera einen Puschel vors Objektiv gedonnert, gerade als sein Bild auf die Leinwände übertragen wurde. Er filmte unbeirrt weiter, ging dabei aber lieber einen Schritt zurück.

Der Auftritt der Cheerleader endete mit einer Schlusspose, bei der die silbernen Puschel zum Schriftzug “KÖLLE” gehalten wurden, dann kündigte Linus die Wise Guys an. In der Zwischenzeit war Hartmut Priess vom Bläck Fööss Auftritt zurück und sagte mir im Vorbeigehen: “Auf der Bühne war ziemliches Ohrenchaos.” Na, das klang ja vielversprechend.

Die Wise Guys hatten ihr Programm auf Köln und Mitsing-Hits ausgerichtet, um sich nach Möglichkeit dem Geschmack der Besuchermassen anzupassen. Laut und gewaltig hallten ihre Stimmen durch das Stadion. Je nachdem, wo man saß, verstand man kein Wort. Besonders die oberen Tribünenplätze versagten akustisch gesehen total.

In einigen Bereichen gab es Fans, die begeistert mitsangen, auch vor der Bühne gab es Interesse, aber die Zuschauer wollten eher etwas Vertrautes zum Mitsingen. Dabei fand ich das ausgewählte Programm für diesen Termin gut gewählt:

Mädchen lach doch mal
Jetzt ist Sommer
Deutscher Meister
Ohrwurm
Kölner
Einer von den Wise Guys
Nur für dich
Nein, nein, nein
Sing mal wieder.

Aber schon beim Deutschen Meister waren die Reaktionen nicht so, wie ich sie erwartet hatte. Der ‘Deutsche Meister’ im Kölner Stadion, vor Kölnern, hätte eigentlich abgehen müssen, aber das Interesse war mäßig. Durch den breiigen Klang auf der Bühne wurde die Lage zusätzlich erschwert. Mit großer Konzentration ging es durch das Programm, aber beim ‘Kölner’ versanken die Fünf im wabberigen Hallsumpf und kämpften angestrengt, um an der Oberfläche zu bleiben. Enge Harmonien, fünfstimmige Klänge, sanfte Akkordwechsel – das war bei diesem Sound schwer. Mittendrin riss sich Ferenc den Ohrstöpsel heraus, um vielleicht über die Monitore besser hören zu können, und die hochkonzentrierten Blicke, die sie sich gegenseitig zuwarfen, zeigten, wie angespannt sie waren.

Der Auftritt war für 45 Minuten geplant, aber kurzentschlossen warfen die Wise Guys ’Nur für dich’ aus dem Programm, weil das ein Zuhör-Lied war, das in diesem Fall nicht gewirkt hätte. So kam es, dass sie zwei Minuten früher als geplant fertig waren. Nein, das war nicht der richtige Ort, nicht der richtige Sound und nicht die Stimmung für ein Wise Guys Konzert.

In der Zwischenzeit waren Brings auf dem Weg zum Auftritt ganz nah an mir vorbeigelaufen. Ich wunderte mich etwas über ihre engen Nadelstreifenanzüge. Die saßen ja wirklich hauteng und sahen aus wie aus Neopren. Gab es Taucheranzüge im Nadelstreifenlook? Plötzlich bekam ich große Augen. Die hatten ja nur Unterhosen an! Der Rest war auf die Haut gemalt! Wahnsinn! Und wie toll!

Die Meinung im Publikum über die Musik von Brings war geteilt. Bei manchen Liedern wurde mitgesungen, bei anderen war es laut und unruhig im Stadion. Sehr verwunderlich. Normalerweise ging bei Brings die Post ab, und erst vor einigen Wochen hatte ich erlebt, wie sie die Stimmung auf der Domplatte innerhalb weniger Minuten hochgejagt hatten.

Den Auftritt bekam ich nach den ersten beiden Liedern allerdings nur über einen Monitor im Innenbereich mit, weil ich schnell von der Stimmungsmusik mit den 120 Refrain-Wiederholungen genervt war, die Brings in der letzten Zeit verstärkt machte. Dabei konnten die so wunderschöne, tiefgehende Lieder machen. Allerdings wären die an diesem Tag im Stadion sowieso nicht angekommen.

Beim letzten Lied setzte sich Peter Brings in einen Wasserbottich und wusch sich den Anzug ab, und spätestens da hätte ich gemerkt, dass der nicht zum Tauchen geeignet war. Was für eine witzige Idee!

Im Zuschauerbereich gab es inzwischen eine Menge Klagen. Der Klang war in vielen Stadionbereichen nicht annähernd als gut zu bezeichnen, an einigen Ständen war das Bier ausgegangen, an anderen die Brötchen oder die Würstchen. Es gab lange Schlangen vor den Verkaufstheken und das Wechselgeld fehlte. Wer nicht passend bezahlen konnte, bekam nichts. Oder er hatte sich lange angestellt und hörte dann, dass es nicht mehr gab, was er haben wollte. Außerdem waren viele Zuschauer seit mehr als fünf Stunden im Stadion, es war warm und laut, die ersten fielen in ein kleines Tief, die anderen waren mit alkoholischen Getränken gut versorgt und feierten von alleine Karneval, egal, was gerade auf der Bühne lief.

Zu diesem Zeitpunkt kam LSE auf die Bühne. Eine Kultgruppe, deren seltene Auftritte sehr umjubelt waren. Tommy Engel, Rolf Lammers und Arno Steffen hatten nicht nur die Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen, sondern auch viel Kreativität und musikalisches Können in die Gruppe gesteckt. Ich fand sie echt gut und freute mich sehr auf den Auftritt.

Leider zeigte sich auch hier, dass ein Großteil des Publikums kein Interesse an dieser Art von Musik hatte. Je später es wurde, desto mehr wurde nach Mitklatschmusik verlangt. Es war deutlich zu spüren, dass der simpelste Karnevalshit sofort mit Begeisterung aufgenommen worden wäre, während die Musik von LSE für viele Anwesende zu anspruchsvoll war. Super schade! Es war genau das eingetreten, was ich im Vorfeld befürchtet hatte: Der Kölner möchte, wenn er im Stadion „Kölle live“ hat, feiern. Und das geht nur mit einfachen Melodien und überschaubaren Texten.

Mir gefiel der Auftritt von LSE sehr, zumal ich sie noch nie live erlebt hatte. Ich fand es schade, dass so viele Zuschauer kein Interesse zeigten. Die verpassten so gute Sachen! Naja, das war wieder die Frage nach dem Geschmack. Der von mir war ganz sicher nicht übereinstimmend mit dem der meisten anderen Stadionbesucher.

Am Schluss kamen die Höhner zusammen mit der Jungen Sinfonie auf die Bühne und zogen mit einem superdicken Wahnsinns-Sound und dem gewünschten Liedangebot die Massen mit sich. Schon nach kurzer Zeit wurde gewaltig mitgesungen und die Stimmung ging steil nach oben ab.

Vermutlich ist zu ahnen, dass ich nicht unbedingt ein Fan der Höhner-Stimmungsmusik bin. Das ist einfach so. Ich gehöre zu den wenigen Leuten, die sich weigern, beim Refrain von ‘Viva Colonia’ mitzusingen. Für die Massen im Stadion reichte aber die eingängige Melodie,  Schlagwörter wie ‘Colonia’ und ‘Liebe’, und eine ‘Lust’, die auf ‘Durst’ gereimt wurde. Sie hatten, was sie brauchten, waren glücklich und sangen lautstark mit: “Da simmer dabei ! Dat is pri-hi-ma! Viiii-va Colonia! Wir lieben das Leben, die Liebe und die Lust Wir glauben an den lieben Gott und ham noch immer Durst.”

Etwa 30.000 Stimmen erzeugten eine unglaubliche Lautstärke, und das Stadion war bis oben hin voll mit Begeisterung und Riesenstimmung. Ich stand auf dem Rang, guckte mich stumm in dieser brodelnden Begeisterung um und dachte spontan: “So viel schlechter Geschmack auf einem Haufen!” Das war natürlich böse, aber so bin ich manchmal.

Wahrscheinlich schreien die Höhner-Fans jetzt empört auf, aber sie können ja darauf verweisen, dass ich im Stadion zur absoluten Minderheit gehörte. Nein, das war nicht meine Welt! Auf diese Art der Stimmungsmusik konnte ich wirklich verzichten. Zum Glück standen in meiner Nähe einige Leute, die die Szene ebenfalls nur ruhig und ernst beobachteten, so dass ich mich nicht wie ein Alien fühlte, sondern spürte, dass es einige wenige Gleichgesinnte gab. Ich kenne übrigens eine Menge supernetter, intelligenter, musikinteressierter Leute, die bei dem Lied mitsingen und Spaß haben, ich kann nur nicht verstehen warum.

Etwas später gab es aber ein Höhner-Lied an diesem Abend, bei dem ich dann doch laut mitsang. ‘Hey, Kölle! Du bes e Jeföhl’ mochte ich ausnahmsweise sehr gerne, denn es passte in die Reihe der Lieder, die eine Seele und ein Herz haben.

Als Schlusslied gab es ein gewaltiges, sinfoniegeschwängertes ‘Music’, bei dem sich John Miles nur deshalb nicht im Grab umdrehte, weil er noch lebte. Das war mir viel zu bombastisch. Die Geigen waren laut und klangen nach aufgeputschten Synthesizer-Klängen, und die ganze Inszenierung erinnerte mich an Greatest-Schmuse-Hits, weichgespült. Irgendwie schon beeindruckend, aber dann doch zu mächtig, um wirklich schön zu sein.

Um es zu betonen: Mir gefiel es nicht, aber fast alle anderen Stadionbesucher jubelten begeistert auf. Damit war der Auftritt ein großer Erfolg und die Höhner der Top-Act des Abends. Die Stimmung war gewaltig und die Lautstärke der applaudierenden und pfeifenden Zuschauer wie bei einem erfolgreichen Bundesligaspiel des 1.FC Köln.

Zum großen Finale kamen fast alle Künstler auf die Bühne und sangen zusammen ‘Die Stadt’ von Trude Herr. Wie schön, am Ende noch ein Lied mit Herz und Seele! Das Mikrofon wurde für jede Strophe weiter gereicht, und jedes Mal sangen Künstler von einer anderen Gruppe. Das gefiel mir sehr gut.

Passend zur Musik wurde oberhalb der Bühne und auf dem Stadiondach ein Feuerwerk losgelassen, dessen roter Funkenregen die Umgebung erhellte. Schon wieder eine bombastische Inszenierung, aber in diesem Fall völlig in Ordnung. Feuerwerk ist immer schön.

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Es gab einen allerletzten, großen Endjubel, dann war nach fast acht Stunden Schluss mit ‘Kölle live’. Die Künstler verließen winkend die Bühne, und das Publikum packte die Sachen zusammen und bewegte sich langsam in Richtung der Ausgänge.

Unabhängig von meiner eigenen Meinung zur Musik würde ich die Veranstaltung als ‘im Prinzip gelungen’ bezeichnen. Allerdings war der Sound nicht akzeptabel, und auch an der Organisation muss noch gearbeitet werden. Wären die in der Werbung angekündigten 45.000 Besucher gekommen, wäre das Chaos riesig geworden. Die Stimmung im Stadion war aber durchgehend gut, es gab keine Pöbeleien oder Krawalle, und es war alles so entspannt, dass man jederzeit bequem quer durch die Menge gehen konnte, ohne sich durchquetschen zu müssen.

Die Zwischenmoderationen von Linus waren in Ordnung, die Umbaupausen fand ich akzeptabel, aber an der Musik würde ich bei zukünfitgen „Kölle-Live“-Veranstaltungen etwas ändern. Es sollte nur noch Mitmach-Musik geben. Die Bläck Fööss könnten am Anfang mit ihren gut mitsingbaren Stücken gute Stimmung machen und viele Kölner begeistern, danach Brings, ehe die Zuschauer müde werden, und dann ein Karnevalshit nach dem anderen. Am Ende von mir aus Höhner, die ja sowas wie die Könige der Karnevalshits-Mitsingmusik sind. Und als Finale ein bombastisches Musik mit Geigen und Feuerwerk. Das ganze wäre dann Open-Air-Karneval im Sommer und würde mit Sicherheit abgehen wie eine Rakete.

Die “frenetischen Fans würden singen, feiern, schunkeln, tanzen und dem Namen RheinEnergieStadion alle Ehre machen”, so wie es die Werbung versprochen hatte, und ich würde in dieser Zeit einen weiten Bogen um das Stadion machen. Die Geschmäcker sind eben verschieden und das ist auch sehr gut so. Es sollte nur nicht versucht werden, verschiedene kölsche Stilrichtungen bei einem Konzert zu vereinen. Das kann nicht klappen.