Berichte

Made in Germany – 07.08.2004 – Berlin

Pe Werner, Purple Schulz, Heinz Rudolf Kunze, Die Prinzen, Klaus Lage, Funke
Wuhlheide, Berlin

Es war endlich Sommer und die Sonne knallte in den Kessel der Wuhlheidener Open-Air-Bühne. Dort sollte um 16 Uhr ein Deutsch-Pop-Festival beginnen, das betont deutsche Musik zeigen wollte, sehr originell aber den komplett englischen Titel ‚Made in Germany‘ hatte.

Der Veranstaltungsort Wuhlheide sah aus wie ein Amphitheater. Anstelle des Pop-Konzertes hätten in der Mitte auf dem abgetretenen Rasen auch Löwenkämpfe stattfinden können. Der Einlass begann um 14 Uhr und kurz vorher wurden die schwarzgekleideten Ordner von einem Oberordner instruiert: “Ihr geht immer zu zweit auf Streife. Noch Fragen?” Nö, gab es nicht.

Jeder Besucher durfte einen Liter Getränk dabeihaben, allerdings nur im Tetrapack und nicht in Dosen, Glas- oder PET-Flaschen. Das war verständlich, denn als Wurfmaterial lagen überall genügend kleinere und mittelgroße Bruchsteine auf den Wegen, die eine wesentlich höhere Erfolgsquote versprachen als die unhandlichen Getränkebehälter.

Der Soundcheck war vorbei und die ersten Besucher betraten langsam und gemächlich die Anlage und suchten sich in aller Ruhe Plätze aus. Es war viel zu heiß, um schnell zu laufen. Außerdem gab es massig Platz im weiten Halbrund der Sitzplätze. “Also, ick steh mir nich die Beene in’n Bauch”, entschied eine Dame, die vermutlich aus Berlin kam und sich auf eine der Bänke hockte. So wie sie dachten wohl die meisten Zuschauer, denn nur wenige begaben sich auf die Stehplatz-Wiese vor der Bühne. Das lag vielleicht auch daran, dass der Großteil der Besucher schon zwanzig Jahre vorher diese Musik gehört hatte und entsprechend älter und gemütlicher geworden war. Vor allem Männer zogen es vor, sitzend in der Sonne zu hocken und dabei viele Erfrischungsbiere zu kippen.

Die Ordner patrouillierten über die Wege, sollten ein Gefühl von Sicherheit und Organisiertheit vermitteln, gaben mir aber eher ein Gefühl von Machtdemonstration und Überwachung. Dabei war das Publikum wirklich harmlos und saß völlig entspannt wie bei einem Familienpicknick herum. Um 16 Uhr waren die Sitzplätze recht gut gefüllt, während es auf der Wiese immer noch viel Platz gab.

Zwei Moderatoren des Spreeradios, das die Veranstaltung organisiert hatte, betätigten sich als Animateure und waren entsetzlich nervig. Ich hätte gerne nur dem stummen Umbau auf der Bühne zugesehen.

Es war erfreulich, dass das Programm endlich mit der Band ‚Funke‘ losging, die Gewinner eines Wettbewerbes des Spreeradios war und sich mit einem Kurzprogramm vorstellte. Nachdem noch mit lautem Knall ein Verstärker explodiert war oder sich irgendwie aus anderen Gründen hatte bemerkbar machen wollen, brach die Übertragung erstmal ab, konnte aber sehr schnell wieder hergestellt werden. Der Sänger und Gründer der Band, Henry Funke, hatte eine sehr gute, eigenständige und wiedererkennbare Stimme. Musik und Texte waren gut und alles zusammen sehr vielversprechend. Es sollte mich wundern, wenn man von ihnen nicht noch mehr hören würde. Das Publikum klatschte nach den Nummern sehr erfreut für die Newcomer und war gut gelaunt.

Danach ging es Schlag auf Schlag weiter. Fünf Künstler, beziehungsweise Gruppen gaben jeweils ungefähr einstündige Konzerte, waren alle deutschsprachig und hatten trotzdem nichts mit seichtem, deutschen Schlager zu tun. Wer eventuell erwartet hatte, dass hier frühere deutsche Topstars mal eben ein paar ihrer Hits runterträllern würden, sah sich schwer getäuscht. Es war sehr gut gemachte Musik, die Künstlerinnen und Künstler setzten sich voll ein und sprühten vor Energie. Ich war richtig sauer, wenn ich daran dachte, was für ein Zeug oft im Radio lief, während für viele Sachen angeblich kein Platz war. Was für ein musikalisches Potential wurde damit einfach übersehen!

Mit Pe Werner ging es los. Ihre klare Stimme war mal sanft, mal wunderbar jazzig und dann wieder unglaublich laut und kräftig. Vor der Bühne fanden sich einige Zuschauer mehr ein, die die Texte mitsangen und dazu tanzten.

Die Stimmung im Publikum war sehr gut, allerdings gab es viele Besucher, die nur auf ihren persönlichen Liebling warteten und offensichtlich kein Interesse an den anderen Künstlern hatten. Sie unterhielten sich laut, machten manchmal blöde Kommentare und störten damit Leute, die zuhören wollten. Ich fand es total schade, dass sie nur hin und wieder mal in den Bann der Musik gezogen wurden und dann ganz ruhig wurden, und ansonsten demonstrativ auf einen anderen Auftritt warteten. Das war nicht nur bei Pe Werner so, sondern zog sich durch den ganzen Abend. Einerseits also ein sehr gut gelauntes Publikum, andererseits zu großen Teilen unaufmerksam und in meinen Augen so blöde wirklich tolle Auftritte quatschend zu verpassen. Sehr, sehr schade!

Purple Schulz war mit Band da, und nach der schlimmen Anmoderation, bei der einer der Radioleute Textzeilen von ‘Sehnsucht’ runterleierte, so dass es mir wehtat und ich ihn weit weg wünschte, ging es temperamentvoll ab. Das Publikum ging gut mit – also die, die es wollten-, und zu meiner Freude standen nicht nur die altersmäßigen Originalfans singend und tanzend auf der Wiese, sondern sogar junge Frauen, die eindeutig nicht mehr so klein waren, dass sie von ihren Eltern mitgeschleppt worden waren.

Bei ‘Sehnsucht’, beim lauten Schrei “Ich will raus!”, wurde auf einmal auch die bis dahin prollige Störgruppe neben mir ganz still und guckte bis zum Ende des Auftrittes ruhig zu. Schön!

Zu ‘Verliebte Jungs’ kam Pe Werner auf die Bühne zurück und sang es mit Purple gemeinsam. Sie tobten über die Bühne, lachten und hatten viel Spaß, der sich sofort auf das Publikum übertrug. Überall nur lachende Gesichter und endlich mal große Aufmerksamkeit. Eine toller Auftritt!

Purple war danach etwas außer Atem, denn gleichzeitig singen, springen, laufen, lachen, Mundharmonika spielen und mit Pe turteln war recht energieverbrauchend. Kommentar meines lachenden, begeisterten Gatten: “Was ist schon ein Duett Robbie Williams /Nicole Kidman gegen Purple Schulz und Pe Werner?”, und er meinte es nicht witzig.

Heinz Rudolf Kunze war der nächste, und da konnten auffällig viele Frauen sehr textsicher mitsingen. Der Sound war ziemlich gut auf dem Platz und es machte mir Spaß, ihm bei seinen oft sehr anspruchsvollen Texten zuzuhören. Wirklich klasse!

Ich war selber erstaunt, wie viele Stücke ich kannte, was mir aber nicht nur bei seinem Auftritt so ging. Den ganzen Abend lang dachte ich immer wieder freudig: “Ach, ja!” und erlebte ein Stück, das mir eigentlich völlig vertraut, aber seit Jahren schon in irgendwelche Tiefen abgetaucht war. Die Künstler und ihre Lieder gehörten früher zu meinem Leben dazu, weil sie ständig im Radio liefen, und oft konnte ich sogar jetzt in der Wuhlheide zumindest den Refrain noch ziemlich sicher mitsingen. Hach, es war schön, sie alle live zu erleben.

Die Prinzen habe ich leider verpasst, so dass ich nichts zu ihrem Auftritt sagen kann. Es hätte mich sehr interessiert, aber ich stand in dieser Zeit mit einem dringend benötigten, kalten Getränk im Bereich hinter der Bühne und unterhielt mich Purple, dessen Auftritt ich auf seinen Wunsch gefilmt hatte. Man muss Prioritäten setzen. Natürlich war ich damit ungefähr so blöd wie einige andere Leute, über die ich mich vorher aufgeregt habe, weil sie tolle Gruppen verpassen, aber ich habe immerhin nicht mit meinem Gerede gestört und stand nicht 10 Meter vom Geschehen entfernt ohne hinzusehen. Allerdings hörte ich das laute Mitsingen des Publikums durch die heiße Luft bis zu mir schwappen und die Stimmung schien ausgezeichnet zu sein. War also wahrscheinlich ein ebenfalls toller Auftritt. Nebenbei gesagt: Kurz vorher gingen zwei der Prinzen ganz nah an mir vorbei, streiften mich sogar, weil die Stelle im Durchgang so eng war, und ich konnte genau erkennen, dass sie keine Krönchen auf dem Kopf tragen! Nicht, dass ich das erwartet hätte, aber ich registrierte diese Tatsache sofort.

Am Schluss des langen Tages war es schon dunkel und Klaus Lage hatte den letzten Auftritt. Einige blaue und rote Leuchtsticks funkelten in den Rängen, die Scheinwerfer warfen Lichtkegel, die Luft war immer noch warm und es war einfach ein traumhaft schöner Sommerabend. Ich bewegte mich zur rockigen Musik, sang mit, wo ich konnte und fand es klasse. Was für ein schöner, langer Abend mit toller Musik!