Berichte

Queen Bee – Ich leg zu und du baust ab – 13.05.2004 – Hürth

Bürgerhaus, Hürth

Das Publikum hatte alle Zeit der Welt. 19 Uhr 30 stand auf der Eintrittskarte, und wir hatten uns abgehetzt, um rechtzeitig im Hürther Bürgerhaus zu sein, aber um 19 Uhr 15 gehörten wir trotzdem noch zu den ersten Leuten, die den Saal betraten. Erst unmittelbar vor Beginn der Vorstellung ging es auf einmal ganz schnell, was zeigte, dass erfahrene Abonnementsbesucher einen Großteil des Publikums ausmachten. Da musste nicht lange nach dem Platz gesucht werden – das ging ratzfatz in zwei Minuten.

Keine vier Wochen vorher waren wir bei Queen Bee im Bonner Pantheon gewesen, aber ganz spontan hatten wir entschieden, uns noch einmal das Programm zu gönnen.
1. konnten wir davon nicht zu viel haben,
2. machten sie demnächst eine mehrmonatige Pause, so dass wir die Chance sie davor nochmal in der Nähe zu sehen, nutzen wollten,
3. gab es noch einige Restkarten im hinteren Bereich, und
4. bin ich eine überzeugte Mehrfachseherin. Wenn mir Programme sehr gut gefallen, sehe ich sie gerne nochmal an. Die Überraschungen fallen dabei weg, dafür kann ich mich mehr auf die Einzelheiten konzentrieren und sie viel bewusster genießen. Außerdem erkenne ich plötzlich Details und Zusammenhänge, die mir vorher oft nicht aufgefallen sind.

Weil um 19 Uhr 30 noch so viele Leute auf dem Weg zu ihrem Platz waren (- immer klappte das mit dem Ratzfatz wohl auch nicht!), konnte der Abend erst mit zwei Minuten Verspätung beginnen. Auch dann waren noch minutenlang Leute unterwegs zu ihren Plätzen, was ich als störend empfand. Wenn ich mich bei meinem momentanen Zeitdruck abhetzen konnte, um pünktlich da zu sein, konnten das andere auch schaffen!

In der Zwischenzeit war es dunkel geworden, und Edda Schnittgard und Ina Müller hatten die Bühne betreten. Sie sangen ohne Begleitung ein kraftvolles “Heut komm ich”, was mich sehr von den vorbeihuschenden Besuchern ablenkte und mir ein freudiges Grinsen in mein Gesicht zauberte. Was haben die beiden für Stimmen! Vor allem Edda fiel mir plötzlich auf, weil sie wunderbar soulig sang und ich sie früher klarer und glatter in Erinnerung hatte. Schon bei meinem ersten Besuch fand ich ihre Stimme toll, aber da steckten inzwischen noch viel mehr Kraft und mehr gebrochene, gezogene Soultöne drin. Dazu die leicht rauchige, phantastische Stimme von Ina – eine wunderbare Kombination mit viel Seele und Power.

Starker Applaus begrüßte die beiden nach dem Lied, und Ina fragte nach, wer von den Anwesenden schon im Vorjahr im gleichen Programm gewesen wäre. Fast der komplette Saal meldete sich. Sie blieb mit dem Blick an einem Mann hängen: “Dich kenne ich! Du warst im letzten Jahr schon da! Auf dem selben Platz!” Sie sprang von der Bühne, um ganz nah ranzugehen. “Du warst der Irrenarzt – genau … !” Der Name fiel ihr nicht sofort ein, aber als er ihr half, rief sie: “Wolfgang! Wolle – genau!” Das Publikum lachte freudig, und Ina rief zur Bühne: “Edda, Wolfgang ist immer noch nett!” Sie wanderte an der ersten Reihe entlang und stutzte erneut: “Hast du hier auch schon mal gesessen?” “Ja, klar!”, antwortete ein Mann, der sich als ein Ralf herausstellte, und ebenfalls das Programm zum zweiten Mal ansah. Zufrieden drehte Ina sich um: “Edda, was soll hier schiefgehen?” Ein witziger Auftakt, und ich stellte fest, dass ich zu den wenigen Leuten gehörte, die keinen Aboplatz im Hürther Bürgerhaus hatten. Dafür hatte ich das Programm bisher zweimal im Bonner Pantheon gesehen, was nicht wirklich einen Unterschied machte.

Das Programm war ein Wechsel von Liedern und Zwischenkommentaren und lebte von den gewaltigen Stimmen der beiden Darstellerinnen und ihren Gegensätzen. Ina, stehend, schmal, temperamentvoll und übersprudelnd, Edda am Flügel sitzend, übergewichtig, betont ruhig und beobachtend. Das hinderte sie aber nicht daran, die Erzählungen von Ina mit Augenrollen oder seufzenden Blicken ins Publikum zu kommentieren, oder auch lautstark zu unterbrechen, wenn es zu viel wurde. Die beiden stellten auf der Bühne kein einträchtiges Duo dar, sondern spielten die Genervtheit über die Eigenarten der Anderen immer wieder aus. Wie Geschwister, die sich hasserfüllt fetzen können und trotzdem zusammenbleiben.

Der Titel des Programmes hieß “Ich leg zu und du baust ab”, und mit dieser Nummer ging es gleich zu Anfang heftig los. Sehr klein und fein wurden die ersten Spitzen abgegeben, abwechselnd wurde in Reimform über die Kollegin gelästert, und was unauffällig begann, steigerte sich schnell. Immer höher wurde der Tonfall, in dem erst gesprochen, dann gesungen wurde, die Stimmen immer schneidender und aggressiver. Triumphierende Blicke gingen ins Publikum, wenn eine gereimte Beleidigung Gelächter auslöste, woraufhin die andere Kollegin sofort noch härter wurde. Ein echter Zickenkampf. Ina: “Ich hab’ Beine, du hast Stampfer. Ich bin die Yacht, du bist der … tuuuuut.” Edda: “Du kannst nur essen, ich kann kochen. Ich hab’ Kurven, du hast Knochen!” Es war ein Kampf zweier ungleicher, aber gleich starker Personen. Alles steigerte sich in ein gemeinsam gesungenes Lied mit schöner Melodie und hammerharten Textstellen: “Solltest du einmal ertrinken, dann werd‘ ich vom Ufer winken.” Die Stimmen klangen laut und kraftvoll durch den Raum und ließen die Luft vibrieren. Wow!

Obwohl Ina sich zunächst heftig weigerte, “Edda, ich meeeelk nich meeeeeahr!”, wurde sie von Edda zu einem Melkwitz gezwungen. Der war zwar schon ziemlich alt, aber der Mann neben mir (nicht mein eigener, der saß auf der anderen Seite) lachte wunderbar dreckig darüber und schob nach dem letzten, kollernden “Haha” ein vergnügtes: “…kannte ich aber schon” hinterher. Im Gegenzug durfte Ina dafür einen Blues singen, überließ die Bühne danach aber aufgesetzt gönnerhaft ihrer Kollegin, damit diese auch mal ganz alleine ein Lied singen könne. Sie sprang von der Bühne und suchte sich für diese Zeit einen freien Platz im rechten Teil des Publikums. Ihre Kommentare waren witzig und fast eine Show für sich. “Da ist doch noch was frei. Magst du nicht neben ihm sitzen? Ist das dein Mann??” Als sie endlich saß, beschwerte sie sich sofort: “Die sehen hier ja gar nichts. Edda, du musst mal mehr mit den Füßen spielen! Oder auch mal zur Seite rausgucken. Vielleicht können die Zuschauer von der rechten Seite nach der Pause mal mit denen von links wechseln. Nee, ich gehe doch lieber weg von hier, da sehe ich ja nichts.” Sie sprang in ihrer typischen Haltung, in der sie, mit dem rechten Arm abstützend, rückwärts zum Sitzen auf den Flügel sprang, auf die Bühne zurück, blieb am Rand mit baumelnden Beinen sitzen, lächelte süß, aber gekünstelt zu Edda: “Wir freuen uns!”, und gab endlich Ruhe.

Der “Traum vom Fliegen” hatte eine ungewöhnliche Klavierbegleitung, die Töne tropften durch den Raum und Edda sang wunderschön. Es erinnerte mich an ein altes Alexandra-Lied, die auch oft ihren ganz eigenen Reiz hatten. Sehr klasse! Am Ende drehte sich Edda vom Publikum weg, blieb bewegungslos in schwachem Licht sitzen, und im Playback war ein Rhythmus zu hören, in dem echohaft Bruchstücke aus dem Refrain des Liedes auftauchten. Ein Spot wurde auf Ina gerichtet, die in rhythmischem Sprechgesang ihre Gedanken “Wenn die Kollegin singt” laut aussprach. Wenn das mal kein Text von Pigor war! Supergut von einem Thema zum nächsten springende Gedanken, sehr emotional gebracht, und es war fast schon ein wenig traurig, was da an Zweifeln, Fragen und der Sehnsucht nach einem anderen Leben durchkam. Ein sehr gutes Lied, eigentlich ja zwei, die miteinander kombiniert wurden, und alles sehr gut musikalisch und szenisch gebracht. Im Übrigen waren auch das Licht und der Ton den ganzen Abend über sehr gut.

Nach einem letzten Angekeife war Pause, und eine Dame stellte zu ihrer Nachbarin gewandt zufrieden fest: “Bisher hat es sich ja noch gelohnt!” Das fand ich aber auch! Während der Pause zogen wir von der 16. Reihe auf zwei freie Plätze in der 4. Reihe um, bangten ein bisschen, ob die rechtmäßigen Platzinhaber nicht doch plötzlich auftauchen würden, und vergaßen die Sorge, als das Licht ausging und der zweite Programmteil begann. Das war von vorne ja noch viel schöner, weil endlich auch die Mimik richtig zu erkennen war! Beide Frauen strahlten gute Laune aus, Ina sprudelte temperamentvoll über, Edda blieb betont ruhig und lachte immer mal wieder los. Es war sehr vergnüglich ihnen zuzusehen. Als Ina heftig und sehr emotional über Männer herzog, strahlte mein Gatte sie völlig fasziniert lächelnd an. Ach, nee. Sollte ich zu Hause mal so loskeifen, würde er sich eher stumm und anklagend verziehen, aber niemals so freudig zurücklächeln. Was hat Ina, was ich nicht habe? Nee, da will ich jetzt keine Antwort drauf, das weiß ich selber. Auf jeden Fall hatte sie eine Menge Sexappeal und dazu noch Hirn und Stimme.

Auch Edda sah sehr süß aus, kam locker und sehr sympathisch rüber und hatte ihre ganz eigene Persönlichkeit. Immer wieder guckten wir zu ihr rüber, um ihre Reaktionen auf die Handlungen der Kollegin zu sehen und fanden es sehr witzig. Sie konnte wunderbar die Beleidigte spielen, genervt die Augen verdrehen und sehr treffende Kommentare abgeben. Ein Zuckerstückchen die kleine Szene, bei der sie gespielt interessiert fragte: “Sach mal, Ina, hast du zugenommen?”, woraufhin Ina mit einem entsetzten Brüller: “Bist du bescheuert??” hinter den Flügel flüchtete und das Kleid zurechtzupfte.

Es gab Lieder, die mir zum Teil Gänsehaut verursachten, oder die Luft blieb mir weg, weil die beiden so gewaltig loslegten, dass die Luft zu flimmern schien. Die Dynamik war unglaublich, und es blieb spannungsvoll, egal, ob sie ganz zart sangen, oder losröhrten. Nach einem sehr kurzweiligen Abend mit viel Spaß und außergewöhnlich guten Stimmen kam als Zugabe das “Homebanking”, bei dem Ina zum simplen Schlagersternchen mit Lispelfehler mutierte, während Edda cool-überlegende Kommentare abgab. Außer zum Homebanking, denn da kannte sie sich überhaupt nicht aus, was beim Publikum brüllende Lacher hervorrief.

Am Ende gab es langen, lauten Applaus vom begeisterten Publikum. “Dass ihr euch jetzt noch so gehen lasst!”, staunte Ina, und setzte mit Edda ein schönes Abend-Abschlusslied hinterher. “Was ist mit dir?”, eine Überlegung, was mit den vielen Leuten war, die außerhalb des Bühnenlichtes saßen. Allerdings war das Fazit nicht weichgespült, sondern nach Queen-Bee-Manier in etwa, dass man ohne “Queen Bee” an diesem Abend mutterseelenallein zu Hause gehockt hätte. Nee, hätte ich nicht, aber ich hätte echt was Tolles verpasst.

Nur noch wenige Vorstellungen, dann starten Ina und Edda in eine zehnmonatige Pause, in der sie auch mal Zeit für eigene Projekte und einfach mal Luft für neue kreative Einfälle haben werden. Im April 2005 legen sie mit ihrem neuen, gemeinsamen Programm los, das ich mir ganz sicher ansehen werde. Wahrscheinlich mehrfach.