Berichte

Paul McCartney – Back in the world 2003 – 27.04.2003 – Köln

Köln-Arena, Köln

Nach 10 Jahren Pause tourte Paul McCartney endlich mal wieder durch Europa. Die “Back in the world”-Tour hatte im April 2002 in Kalifornien begonnen, war im März 2003 über Paris nach Europa gekommen und hatte in Köln am 27. April Deutschland-Premiere. Die Karten waren trotz heftiger Preise ziemlich schnell weggegangen. Vor der Köln-Arena standen zwar noch einige Leute, die mit ernstem Gesicht Karten vor ihrer Brust hin- und herschwenkten und damit zum Verkauf anboten, und sie fielen sofort auf, weil sie mit dem Rücken zur Laufrichtung der vielen Konzertbesucher an ihrem Platz festgetackert schienen, aber kurz vor Beginn des Konzertes waren alle Plätze in der großen Köln-Arena besetzt. 14.000 Zuschauer – ausverkauft.

Pünktlich um 20 Uhr blickte ich auf die Uhr, aber Paul ließ sich noch Zeit. Das Publikum setzte zwar immer wieder zu aufforderndem Klatschen an, aber es waren nur nette Versuche, die schnell wieder aufhörten. Um 20:15 Uhr begannen undefinierbare Geräusche, ein Gedröhne schwoll an, und das Publikum jubelte sicherheitshalber mal los. Ganz unerwartet strahlten plötzlich blendend blaue Scheinwerfer in die Gänge und beleuchteten verkleidete Gestalten, die an den Karneval in Venedig erinnerten. Unter Klängen und Trommelgeräuschen gingen sie bedächtig und langsam zur Bühne, immer neue Figuren tauchten auf, sechs riesengroße Luftballons kamen dazu und schwebten an langen Leinen über den Köpfen der Besucher, und es war alles wie ein etwas surrealistischer, dafür aber lauter Traum.

Auf der Bühne gab es plötzlich Akrobaten und Gewichtheber, Tänzerinnen drehten sich, Figuren fielen hin, standen wieder auf, der Rhythmus wurde hämmernder und aggressiver, die Stimmung fast beklemmend, dann wurde es plötzlich wieder ruhiger und träumerisch. Bei allem Chaos: Es war eine durchchoreographierte Bühnenshow, die mir etwas sagen sollte. Aber was? Ich war doch nicht im “Cirque du soleil”, sondern wollte Paul McCartney abrocken hören! Nach 10 Minuten hatte ich eigentlich schon genug und sehnte den Anfang der eigentlichen Show herbei. Darum jubelte ich nach 20 Minuten vor echter Freude, als ganz plötzlich die große Videoleinwand weiß erstrahlte und die Silhouette von Paul und seinem unverkennbaren Hofner-Bass zeigte. Yeah!!! Das Geschrei bei Sichtung der Paul-Silhouette platzte in der kompletten Köln-Arena los – da reichte schon allein das Bild ohne Ton. Wohin die ganzen Traumfiguren gegangen waren, oder ob sie sich einfach in Luft aufgelöst hatten, habe ich übrigens überhaupt nicht mitbekommen.

Langsam bewegte sich die Leinwand nach oben und dahinter war der echte Paul, der unter dem lauten Gejubel der Zuschauer nach vorne auf die Bühne lief. Sofort sprangen viele Fans aus dem ersten Block von ihren Stühlen und rannten bis zur Bühnenabsperrung. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war der Gang zwischen dem Gitter und der ersten Sitzplatzreihe mit stehenden Fans gefüllt. Paul legte mit “Hello Goodbye” los, und um mich herum sah ich nur strahlende Gesichter, die mit leuchtenden Augen und lachenden oder sogar mitsingenden Mündern in Richtung Bühne blickten. Nur die Leute, die wahrscheinlich echt viel Geld für die Sitzplätze in der ersten Reihe bezahlt, und nun mehrere Reihen dichtgedrängter Fans vor sich stehen hatten, guckten vielleicht nicht so begeistert. Immerhin lachten ihnen von den Rückseiten der meisten T-Shirts Paul-Bilder entgegen, so dass sie ein wenig entschädigt wurden.

Ich saß auf dem zweiten Oberrang der Köln-Arena, der recht weit hinten und sehr weit oben war. Trotzdem war die Akustik dafür ziemlich in Ordnung, auch wenn es manchmal einen dicken Sound-Cocktail um die Ohren gab. Aber es war laut, gut verständlich, der Ton satt und der Rhythmus knallend, so dass ich sehr zufrieden war. Das hätte auf den hinteren Rängen auch ganz anders klingen können! Die Stimme von Paul klang an manchen Stellen zunächst etwas spröde, hart und brechend, was mich zuerst an eine Erkältung denken ließ. Da es aber immer besser wurde, hatte er sich wahrscheinlich nur vorher nicht ordnungsgemäß eingesungen. Eben wie in alten Beatleszeiten, wo das Wort “Einsingen” wohl einen Lachanfall ausgelöst hätte.

Optisch war Paul aber verblüffend unverändert. Im Gesicht ein wenig älter geworden, aber im Gesamteindruck frisch und eigentlich so wie er schon immer war. Seine Jacke, die den typischen abgerundeten Beatles-Kragen hatte, war knallig türkis, darunter trug er ein T-Shirt in kräftigem Rot. Er spielte den vertrauten Höfner-Bass, der von der Form an eine Geige erinnerte, natürlich immer noch linkshändig, und stand einfach genauso schmal vor dem Mikro, wie ich es schon aus den Filmausschnitten der 60er-Jahre kannte. Dabei spielte er nicht ‘Paul McCartney’, tat nicht extra jugendlich, sondern war einfach so wie früher. Sogar das tiefe Verbeugen und kurze Verharren in dieser Position hatte er nach manchen Liedern noch wie früher drauf, und mir trieb es ein rührseliges Grinsen ins Gesicht.

Seine Begleitmusiker waren supergut. Paul “Wix” Wickens kannte ich noch von der Tour ‘93, wo er auch schon Keyboard und Akkordeon gespielt hatte. Ruhig und bedächtig – ich fand ihn schon vor 10 Jahren klasse und liebe es, wenn er so völlig in Musik versunken seine Instrumente bedient – war er ein starker Kontrast zu Abe Laboriel Junior, dem temperamentvollen Schlagzeuger, der aussah, als wäre er hauptberuflich übergewichtiger, goldkettenbehängter Rapper. Manchmal war er mir fast etwas übermotiviert, denn er schlug nicht nur den normalen Rhythmus, sondern brachte vorgezogene Doppelschläge rein und ließ ab und zu die Stöcke von weit oben mit Wucht auf die Felle knallen. Da blieb mir beim Zugucken schon fast die Luft weg. Ein einfacher, knalliger Beat hätte mir an einigen Stellen besser gefallen, aber das ungeheure Temperament, die total freundliche Ausstrahlung, und vor allem die Perfektion, mit der er die Songs antrieb, waren umwerfend und überzeugten mich schnell.

Die beiden Gitarristen hatten dagegen fast keine eigene Persönlichkeit, weil sie zwillingsähnlich wie typische Britpop-Musiker aussahen. Jung, schmal und lang, dunkel gekleidet und beide mit der aktuellen In-Frisur im 60er-Look. Kurzhaarschnitt etwas rauswachsen lassen und alles leicht plusterig nach vorne kämmen. Sie hießen Rusty Anderson und Brian Ray, blieben aber trotz ihrer superguten Gitarren- und Backgroundbegleitung unauffällig. Bei manchen Szenen sahen sie schon fast wie Bühnendeko aus, weil sie optisch gleich rechts und links von Paul standen und damit einen wunderbaren Rahmen für den Hauptdarsteller gaben. Insgesamt fiel mir auf, dass die Musiker eher eine Begleitband waren, im Gegensatz zu den Konzerten von ‘89 und ‘93, die ich mit dem Gatten zusammen besucht hatte, wo Paul mit einer Gruppe von Musikern ZUSAMMEN ein Konzert gab und die anderen Musiker als Einzelpersonen eine höhere Wertigkeit hatten. Jetzt war es Paul McCartney, der ein Konzert gab, und dabei im Background sehr gut begleitet wurde, wenn er es nicht als Solostück machen konnte.

Ganz hervorragend war die Show auf den Videoleinwänden. Mehrere große und viele kleine Projektionsflächen konnten verschoben und immer neu kombiniert werden, und zum ersten Mal sah ich ein Konzert, bei dem es die Scheinwerferkegel nur zum Beleuchten der Personen gab, alle anderen Farben aber von den Videoleinwänden kamen. Mal waren das kleine Bilder und Filme, die auf verschiedenen Leinwänden abliefen, mal ein flimmerndes, flackerndes Lichtermeer, dann aber auch alte Original-Beatlesaufnahmen, die passend zu den alten Hits eine sentimentale Stimmung erzeugen konnten. Es war sehr beeindruckend, wie es zu jedem Lied eine neue Farb- oder Bildzusammenstellung gab, die nur für dieses Lied verwendet wurde. Sehr abwechslungsreich und vor allem bunt. Manchmal so schön bunt, dass ich fasziniert den großen Paul auf der Leinwand ansah, und völlig übersah, dass der kleine, eindeutig weniger farbige Mensch auf der Bühne der echte Paul war.

Paul McCartney hatte ziemlich schnell seine türkise Jacke ausgezogen und machte mit grauer Hose und rotem T-Shirt weiter. Es war faszinierend: Völlig ohne Glitzer und Glamour saß er am Piano oder stand mit einer Gitarre vor dem Mikro, und sah genauso normal und natürlich aus, als ob er im heimischen Wohnzimmer mal eben Musik machen würde. Ohne große Show und wilde Gesten spielte und sang er einfach, hatte die halblangen Ärmel hochgeschoben, lächelte ins Publikum, und eine ganze Köln-Arena voller Leute wurde mitgerissen und jubelte ihm zu. Dass er manchmal am Ende der Songs die Arme hochriss und den Applaus entgegennahm, war fast unpassend, brachte aber Bewegung ins Bild. Ich musste jedenfalls immer grinsen, wenn ich seine schlaksigen X-Beine sah, mit denen er schon in den 60er-Jahren durchs Filmbild geeiert war. Es war eben einfach Paul McCartney und damit ein vertrautes Gesicht und ein vertrauter Klang auf der Bühne.

Und irgendwie waren auch die Beatles da. Das Programm war eine gute Mischung aus alten und neuen Songs, hauptsächlich Beatles-Sachen, etwas Wings und wenig Neues. Eigentlich genauso, wie ich es mir gewünscht hatte. Zum Glück distanzierte sich Paul nicht von seiner Beatleszeit, sondern schien immer noch viel Spaß an den alten Sachen zu haben und keinerlei Bedürfnis sie als überarbeitete Neuinterpretationen zu bringen. Bei den fetzigen Klassikern, aber auch bei einigen Wings-Sachen zog das Publikum begeistert mit. Ruhiger war es bei einem leisen Stück für John, das mich etwas sentimental-traurig machte, und bei einem Stück für George, das zwar aufmunternder war, weil Paul dabei Ukulele spielte, durch gleichzeitig eingeblendete Bilder von George dann aber sehr berührend war.

Der Ablauf des Programmes war nicht in der zeitlichen Reihenfolge der Lieder. Alle Jahre waren wild gemischt, es gab nur Unterteilungen in ‘Band-Blöcke’, ‘akustische Blöcke’ und ‘Solostücke’, bei denen Paul dann ganz alleine auf der Bühne stand. Mit seinem “Blackbird” auf der Gitarre könnte er in jeder Fußgängerzone mit Anerkennung durchkommen. Natürlich fehlten auch die Lieder für Linda und Heather nicht. Zuerst “Your loving flame” für Heather, was ich sehr schön fand, etwas später das vertraute, ebenfalls wunderschöne “My love” für Linda.

Ein Lied folgte dem nächsten, Paul las zwischendurch deutsche Ansagen vor, jeder Musiker bekam seine Zeit, in der er vorgestellt wurde und etwas sagen konnte, es gab ruhige Gitarrenstücke, knallige Bandsachen und ein buntes Piano wie aus Magical Mystery Tour Zeiten. Ich freute mich bei jedem Liedanfang und dachte: “Super!!” oder passender: “Yeah!!” und die Stimmung in der Köln-Arena stieg weiter an. Bei “Let it be” gab es im Publikum viele rote, blaue und gelbe Lichter, die wie gleichmäßig darübergestreute Sterne aussahen und leicht blinkend leuchteten, bei “Live and let die” ließen laute Explosionen mit hohen Stichflammen die Zuschauer zusammenzucken, bei “Hey Jude” sangen alle laut mit und Paul teilte in “Männer” und “Frauen” auf und ließ sie vergleichsweise singen.

Am Ende des Programmes standen fast alle Zuschauer, sangen laut mit und waren begeistert. Es gab Riesenjubel, Paul verschwand, tauchte aber nach kurzer Zeit wieder auf und hatte ein T-Shirt mit der Aufschrift “No more landmines” an. Er lief über die Bühne und schwenkte dabei eine große Deutschlandflagge. Die hätte er weglassen können, und wahrscheinlich war es den Showplanern nicht klar, dass sowas in Deutschland einen etwas seltsamen Beigeschmack hat. Immerhin war es die richtige Flagge, denn in Holland hatte er beim Arnheim-Konzert statt der rot-weiß-blauen Flagge eine rot-blau-weiße geschwenkt, die wenig Begeisterung auslöste, weil es die russische Flagge war.

Fazit: Eine perfekte Show, die bis in die Ansagen durchgeplant war, aber genau das richtige Timing und die bestmögliche Abwechslung hatte. Die ersten 20 Minuten Vorprogramm hätte ich allerdings nicht vermisst, wenn sie ersatzlos gestrichen worden wären. Es kam währenddessen die Theorie auf, dass Paul das extra gemacht hat, damit sich alle so richtig freuen, wenn er endlich kommt. Wenn ich an meine eigenen Empfindungen während des Vorprogrammes denke, könnte da was dran sein.

Es gab supergute Musiker, die den Sound etwas treibender und härter machten, die alte Beatles-Ausstrahlung aber trotzdem bewahrten, eine außergewöhnlich tolle Videoshow, eine sehr gute Kameraführung, zufriedenstellenden Sound im kritischen Bereich der Köln-Arena, einen Paul McCartney, der mit Power und ohne Pause mehr als zweieinhalb Stunden Programm machte und der eine ganze Köln-Arena voller begeisterter Zuschauer hinterließ. Superklasse!! Ich weiß ja nicht, wie oft ich noch die Gelegenheit habe, zu einem Paul McCartney-Konzert zu gehen, aber ich würde es sofort wieder machen! Am Ende der Show rieselten viele schwarze, rote und gelbe Schnipsel von der Decke, ein Gruß an Deutschland. Naja, in Rot und Blau hätten sie mir besser gefallen, zumal die Hauptfarben des Abends ein strahlendes Blau vom Licht und ein kräftiges Rot von Pauls Shirt waren. Der Abend war superklasse!!

Programm:
Hello Goodbye
Jet
All my loving
Getting better
Let me roll it
Lonely road
Your loving flame
Blackbird
Every night
We can work it out
You never give me your money/Carry that weight
Fool on the hill
Here today
Something
Eleanor Rigby
Here, there and everywhere
I’ve just seen a face
Calico Skies
Two of us
Michelle
Band on the run
Back in the USSR
Maybe I’m amazed
Let ‘em in
My Love
She’s leaving home
Can’t buy me love
Birthday
Live and let die
Let it be
Hey Jude

1. Zugaben:
The long and winding road
Lady Madonna
I saw her standing there
2. Zugaben:
Yesterday
Sgt. Pepper Reprise/The end