Die Vorleser – 04.10.2002 – Köln
Jess Jochimsen – Wolfgang Nitschke – Horst Evers – Thomas Pigor
Comedia, Köln
Alle vier Vorleser hatte ich alle schon auf der Bühne erlebt und wusste darum ungefähr, was bei der Lesenacht im Rahmen des Kölner Comedy Festivals auf mich zukommen würde. Auf Horst Evers freute ich mich besonders, aber den finde ich eben auch besonders klasse und schwärme allen Leuten von ihm vor. Das Interesse an ihm im Kölner Raum muss deswegen inzwischen merklich angestiegen sein.
Die Comedia war voll, das Licht ging aus und eine leise Stimme aus dem Nichts versuchte gegen eingespielte Musik anzukommen. Ich erkannte Jess Jochimsen, aber es dauerte leider, bis der Ton verständlich eingestellt war und ich hören konnte, dass es um Vorlesegeschichten ging. Das Publikum war gut gelaunt und gab Applaus, als die Darsteller endlich auf die Bühne kamen. Jess Jochimsen war der Moderator, stellte zunächst seine Kollegen vor und erklärte dann das simple Prinzip der Sendung: “Wir lesen vor und ihr hört zu. Das war’s. Dazwischen gibt’s Pause.” So ganz nebenbei wurde der Abend auch vom WDR-Radio aufgezeichnet.
Jess Jochimsen begann gleich selber mit einem Text und schilderte, wie er versuchte “einfach mal so” ein Buch im Urlaub zu schreiben, das anschließend ein großer Erfolg wird. An seinen Österreich-Reisen war laut seiner Aussage kein Verlag interessiert, aber während er sehr lebendig vom Blatt ablas, schauten seine Kollegen, die rechts und links an Tischen saßen, aufmerksam und interessiert zu. Das Publikum war lachbereit dabei und freute sich über jeden witzigen Satz.
Der nächste war Horst Evers. Er wollte riskieren NICHT aus dem aktuellen Programm zu lesen, sondern etwas anderes zu machen. In seiner ruhigen, sympathischen Art überlegte er, welcher Text in die Jahreszeit passen würde und wählte einen dunklen, depressiven Herbsttext: “Der Kopfschuss”. Es ging ums Fußballspielen. Schon nach wenigen Sätzen wurde das glucksende Gelächter im Publikum lauter. Ich lehnte mich entspannt zurück – Horst Evers kam supergut an. Prima! Freute mich persönlich, auch wenn ich überhaupt nichts dafür konnte und mich nur persönlich verantwortlich fühlte, weil ich ihn immer so dringend empfahl.
Der Text war überzeugend und bei vielen Sätzen konnte ich mich fast weglachen, wenn er sie ganz ernst und mit großen, runden Augen ins Publikum blickend, vorlas. „Man kann nicht gerade sagen, ich BESCHLIESSE den Ball mit dem Kinn zu stoppen. Ich tue es aber trotzdem.” Sehr witzig und auch die anderen Zuhörer waren begeistert und applaudierten laut.
Thomas Pigor stellte anschließend sein Buch mit Heiligengeschichten vor: “Wie man am schnellsten in den Himmel kommt.” Mit sanfter, weicher Stimme und rollendem R erklärte er das System “Himmel – Fegefeuer – Hölle” und trug unerwartete Sachen vor. “Alles ist möglich. Aber wenn alles möglich ist und dieses katholische Vollzugssystem wahr ist, dann sehen einige von uns ganz schön alt aus.” Beispielhaft berichtete er von der Entwicklung eines Bademeisters zum Heiligen. Mit erotischer Schmeichelstimme las er vom wahrlich knackigen Aussehen des Bademeisters Altan, der schließlich seinen ergriffenen Jüngerinnen vom 3-Meter-Turm aus dem DLRG-Buch vorlas. Gerade der Kontrast zwischen der weichen Erzählerstimme und den hart ausgesprochenen Kommentaren des berlin-türkischen Helden – “Hass du’n Rad ab, oder was?” – waren sehr witzig.
Jess Jochimsen erzählte von der Horrorfigur seiner Jugend, Karl-Heinz Köpke, dem “Gesicht hinter der Scheibe”, dann legte Wolfgang Nitschke mit seinem “Bestsellerfressen” los. Der Dalai Lama, “der heilige Scherzkeks vom Dach der Welt” war dran, und bei dem Zitat: “Man sollte keinen Kuhschädel auf einen Schafskörper setzen. Und umgekehrt”, warfen sich die Zuhörer lachend in ihren Sesseln hin und her. Ein Riesengelächter erfüllte die Comedia, Jess Jochimsen prustete fast das Wasser weg, das er gerade getrunken hatte, und Pigor hielt sich lachend die Nase zu und rutschte in seinem Stuhl ganz weit runter. Als es um das “Pieksen von Papageien” ging, war alles aus und auch die anderen Vorleser konnten sich nicht mehr halten.
Nachdem sich alle etwas beruhigt hatten, lief über Band eine seltsame Radio-Werbung ab, die Jess Jochimsen extra angekündigt hatte. Nicht nur das Publikum guckte verwirrt, auch Horst Evers sah blöd in der Gegend rum und konnte sie anscheinend nicht ganz einordnen. War wohl ein Witz, aber was für einer? Na, egal, danach war Pause.
Im zweiten Teil erkundigte sich Jess Jochimsen zunächst: “Gibt’s Fragen?”, und ließ dann den nächsten Werbespot laufen. Na, so richtig witzig war der nicht, aber da er auch keine Folgen hatte, nahm ich ihn als kurze Unterbrechung hin. Keine Ahnung, was das für einen Sinn haben sollte.
Um zu kurze Beine, den Unterschied zwischen “Sitzriese” und “Stehzwerg” ging es bei Jess Jochimsen, dann berichtete Thomas Pigor weiter vom Martyrium des Bademeisters, der einen grausamen Tod sterben musste, dadurch aber ganz schnell zum Heiligen werden konnte. Noch lebendig wurde er in Reliquien geteilt, die allerdings nicht fachmännisch gelagert wurden, und das Publikum in der Comedia lachte immer wieder laut los, weil die Geschichte so schön abgedreht war. Wolfgang Nitschke beschäftigte sich mit einem Buch vom Kölner Kardinal Meißner, wollte betont nicht hinterfragen, warum der die symbolträchtige Anzahl von gerade 69 Predigten gewählt hatte und erfreute das Publikum sehr. Anschließend las er aus “Forever young”, einem Buch zur Leistungssteigerung und Vitaliät. Er brachte ein Zitat vom “kristallklaren Bach im trüben Teich”, das nicht näher erklärt werden konnte. Sehr, sehr lustig. Besonders so, wie Wolfgang Nitschke alles auseinandernahm.
Über einen Artikel seiner Ex in “Men’s Health” berichtete danach Jess Jochimsen. Sie hatte angeblich einen Testbericht über den Sex mit ihm veröffentlicht, und während Jess empört darüber vorlas, guckte Horst Evers ihm mit ganz mitleidig verzogenem Gesicht zu. Sehr schön. Bei seiner nächsten Geschichte musste Horst Evers wieder etwas einleitend erklären und schon der Anfang: “Ich muss da erstmal was erklären” und die Aussage, dass die Geschichte kein Ende hätte, “aber auch keinen Anfang und nur schlackernde Handlungsstränge”, brachte das Publikum zu laut glucksendem Lachen. Er erklärte kurz das Tarifsystem des Berliner Nahverkehrs und betonte entschuldigend: “Das muss man wissen. Nicht für lange – nur für eine Seite.” Es gab eine “Premium”-Geschichte, die langen und sehr heftigen Applaus bekam.
Der Schluss des Abends war gekommen, mit Geklatsche und Begeisterung wurden die Darsteller verabschiedet und damit war das Ende der WDR-Aufzeichnung erreicht. Natürlich ging es nicht ohne Zugabe ab und das Publikum musste nicht lange klatschen, um die Vorleser nochmal auf die Bühne zu bekommen.
Nitschke las aus dem Kochbuch von Biolek vor und imitierte dabei superwitzig Bios: “Uiuiuiuiuiiiiii!” und “Eujeujeujeuuuu!” Das Publikum lachte laut auf und reagierte auf jedes erneute Ansetzen mit großen Lachern.
Als Horst Evers danach begann: “Da muss ich jetzt was erklären”, hätte das schon fast gereicht, um das Publikum zu Lachtränen zu bringen. Er trug ein Gedicht über das Bohren eines Loches in Ägypten vor, und da es das Reimschema A-A-A-A-A-A hatte, war es schnell und heftig vorbei. Für eine Zugabe kurz und gut. Zum Schluss rappte Pigor einen seltsamen Text und Jess Jochimsen unterstützte ihn mit Mouthpercussion-Begleitung. Es war witzig anzusehen, aber irgendwie hatte ich nicht ganz kapiert, um was es ging, suchte vergeblich nach regelmäßigen Reimen und war wahrscheinlich schlicht überfordert. Ich weiß nicht, ob es wirklich so geplant war, wie es ablief, oder plötzlich improvisiert war.
Egal. Ich lachte fröhlich über alles und hatte einen sehr lustigen Abend verbracht. Gefallen haben mir alle Sachen, am meisten gelacht habe ich allerdings wieder über Horst Evers, aber das kann an meinem persönlichen Humorzentrum liegen.
Vorleseabende, bei denen man nicht wie als Kind im Bett liegen und einschlafen muss, sind schon eine tolle Sache!