Max Greger, Paul Kuhn, Hugo Strasser – 27.07.2001 – Bad Neuenahr
Best of Bigband – SWR Big Band, Max Greger, Paul Kuhn, Hugo Strasser
Kurpark Bad Neuenahr-Ahrweiler
Ein Sonntagnachmittag im Juli. Der Gatte blättert in einer Zeitung und sagt plötzlich: “Paul Kuhn, Max Greger und Hugo Strasser zusammen mit der SWR Big Band. Willste da nicht hin?” Anette: “Wann, wo?” “Am Freitag in Bad Neuenahr.” Während ich stundenlang darüber nachdenken kann, ob ich jetzt bügeln soll oder lieber nicht, bin ich in solchen Entscheidungen immer blitzschnell: “OK!”
Das war wieder mal typisch für mich. Eigentlich war ich froh, mal weniger Termine zu haben, aber diese Kombination konnte ich mir dann doch nicht entgehen lassen: Paul Kuhn, den ich superklasse finde, der genauso swingt wie der Gatte und ich es lieben, und den ich schon mit großer Begeisterung live erlebt habe. Sein lässig perlendes Piano, diese knuddelige Stimme – sehr klasse. Max Greger, der Bandleader, der zu meiner Kindheit ebenso gehört wie Peter Frankenfeld und Daktari. Gefühlt war er mit seiner Max-Greger-Band in fast allen Fernsehshows dabei, spielte entweder auf seinem Saxophon oder schnippte grinsend in die Kamera. Ich weiß, dass mich meine Kindheitserinnerung da täuscht, denn er war von 1963-1977 „nur“ in den ZDF-Shows, aber zu der Zeit guckte man jede Show “Musik ist Trumpf” und “Der große Preis”. Es gab ja nichts anderes … Hugo Strasser, der Mann, von dem ich glaubte, ich hätte eine CD von ihm, was sich aber mit Blick in meinen CD-Schrank als falsch herausstellte. Ehrlich gesagt kannte ich seinen Namen und wusste, dass er irgendwas mit Tanzorchestern und Bällen zu tun hatte, aber mehr nicht. Ich ging aber mal davon aus, dass er qualitätsmäßig nicht hinter Paule und Max zurückblieb, denn warum hätten sie ihn sonst mitgenommen?
Von der SWR Big Band wusste ich überhaupt nichts. Schande über mich, aber ich höre sonst Swing Musik von alten Aufnahmen und bin über aktuelle Sachen nicht informiert. Für mich war es fraglich, wie eine Gruppe von heute die alten Sachen spielen würde. Ich finde die nämlich schon sehr gut arrangiert und halte wenig von Modernisierungen. Die drei Solisten brachten zusammen eine mehr als 150-jährige Swing-Erfahrung mit und waren inzwischen 73, 75 und 79 Jahre alt. Eine letzte Frage blieb mir: Wie würde der Altersdurchschnitt der Zuschauer im Kurpark Bad Neuenahr sein, und würden der Gatte und ich optisch rausfallen?
Kurz bevor der eigentliche Konzertbericht anfängt, muss ich schnell warnen. Wer gefühlvolle, schwärmerische Ergüsse nicht leiden kann, sollte sich den weiteren Bericht sparen und nur den nächsten Satz lesen: Es war supergut! – und tschüss! Alle anderen kriegen jetzt die Ohren vollgesülzt, aber ich kann nicht anders.
Bad Neuenahr-Ahrweiler war einfach gefunden, der Kurpark auch. Wir mussten nur den vielen älteren, oft humpelnden Leuten mit Gehhilfen hinterherlaufen und landeten genau vor der Konzertmuschel. Es war wie im Film. Überall ältere Leute, sehr gut gekleidet – da musste anscheinend keiner mit der Rente knapsen -, Palmen in großen Töpfen, Blumenpflanzen in Reihen und ein hoher Springbrunnen. Es sah gepflegt, nach gesellschaftlicher Anerkennung und Geld aus. Ein Geruch von Piefigkeit und Kölnisch Wasser lag in der Luft. Also alles so ganz anders als sonst in meiner Umgebung.
Ein Mann in der Reihe hinter mir sagte: “Ist ja nicht nur für unsere Generation, auch die jungen Leute schwärmen für so was!” Damit meinte er uns! Junge Leute! Nach so vielen Besuchen bei den Wise Guys, wo ich altersmäßig zu den Senioren gehöre, tat das mal echt gut. Ist eben alles relativ. Aber tatsächlich sahen wir kaum Leute in unserem Alter, sondern die Zuschauer schienen zum größten Teil um die 70 zu sein. Die Sonne wanderte langsam hinter die hohen Bäume, die den Hintergrund der Konzertmuschel bildeten und der Gatte grinste liebevoll über das kleine 16-Spur-Mischpult, das ganz bescheiden am Rand stand und für den guten Klang sorgen sollte.
Und dann ging’s los. Die Musiker der SWR Big Band kamen in schwarzen Anzügen auf die Bühne, griffen zu ihren Instrumenten und legten mit dem Opener los. Bläsersätze vom Feinsten, mal standen die Posaunen auf, mal bogen sich Trompeten im Rhythmus von rechts nach links … es trieb mir vor Glück die Tränen in die Augen! Sowas höre ich sonst nur von CD. Es war supergut und ich war total glücklich dort zu sitzen und diesem tollen Orchester zuzuhören. Ich weiß nicht warum, aber schon seit meiner Kindheit ist die amerikanische Swingmusik der 40-er Jahre die Musik, bei der mein Herz hüpft. Und hier hörte ich genau diese Musik live und wahnsinnig gut.
Als dann Max Greger auf die Bühne kam, war ich gleich noch gerührter. Die früher schwarzen Haare waren hell geworden, aber ich erkannte ihn sofort und er bog sich beim Spielen wie früher weit hinter seinem Tenor-Saxophon zurück. Und was konnte er dreckig spielen! Wow! Dreckiges Saxophon, so richtig gut gespielt, liebe ich einfach. Es jazzte und swingte, und weder der Musik, noch Max Greger hörte man das Alter an. Die Orchester-Herren wussten genau, was Synkopen sind und ich wackelte auf meinem Stuhl begeistert mit.
Auch bei den nächsten Liedern blieb es so gut. Max Greger gab lässig und so richtig bandleadermäßig die Einsätze und es kam eine riesengroße Spielfreude rüber. Einzelne Musiker traten als Solisten auf, und bei einem Tommie Dorsey Stück wurde ich von der butterweichen Posaune fast weggeschmolzen. Plötzlich saß ich nicht mehr im sonnigen Kurpark Bad Neuenahr, sondern in einem kleinen, dunklen Club in den 40er Jahren in Amerika. Vor mir spielte eines der berühmten Jazz-Orchester und ich war hin und weg und zu Tränen gerührt. Warum trifft diese Musik so exakt meinen Nerv?
Die SWR Big Band haute mich um, weil sie so gut war. Da zogen die Bläser sogar die Töne ganz synchron, und wenn 5 Saxophone spielten, hörte man zwar verschiedene Töne, aber nur einen Ansatz und auch die schnellen Läufe waren wunderbar sauber. Traumhaft! Ich war mir sicher, dass vom Himmel aus Tommy Dorsey, Duke Ellington, Count Basie und wie sie alle heißen, mit großer Freude zuhörten und grinste gerührt in den blauen Abendhimmel.
Max Greger gab zwischen den einzelnen Stücken kleine Kommentare ab und war überhaupt nicht so steif und zurückhaltend wie ich ihn aus früheren Fernsehzeiten kannte. Da musste er wahrscheinlich immer so brav sein, aber ohne öffentlichen Sender war er witzig und hatte unerwartete Bemerkungen drauf. “Jetzt werde ich eine heiße Kanne blasen!” Gefiel mir sehr. Er meckerte sogar richtig schön über die vielen Volksmusik-Sendungen, von denen es viel zu viele und alle nur mit Playback gab. “Das tu ich mir doch nicht an!” Einen von Karl Moik angebotenen 2-Minuten- Playback- Auftritt im ‘Musikantenstadl in Dubai’ hatte er abgelehnt. Sein Kommentar dazu: ”Musikantenstadl in Dubai?? Diese Menschen haben uns doch gar nichts getan!” Gelächter und Geklatsche von einem Teil des Publikums, die anderen sahen so was wohl ganz gerne.
Dann kam Hugo Strasser mit seiner Klarinette auf die Bühne und alles wurde etwas gerader und rhythmisch ordentlicher. Das Nightclub-Feeling ging bei mir sofort verloren und ich war beim Tanztee, wo es mir nicht ganz so gut gefiel. Es war gut und schön gespielt, aber zu brav für mich. Eben kein Big Band Sound, sondern Tanzorchester. Jetzt wusste ich auch, warum mir Hugo Strasser nie über den Plattenteller gelaufen war. Trotzdem war es weiterhin gut, und mir war klar, dass der Strasser-Sound einfacher und klarer sein musste, weil sonst die Tänzer bei der ersten Synkope gleich aus dem Takt kippen könnten.
Rührend und sehr schön, als Greger und Strasser, beide mit Klarinetten, ‘Sentimental Journey’ spielten, ein Stück, das sie schon vor über 50(!) Jahren gemeinsam gespielt hatten. Am Ende des Blockes sagte Max Greger grinsend zum Publikum: “Sie brauchen jetzt eine Pause!”, und es war Pause. Wir nutzten die Zeit um mal durch den Kurpark zu schlendern und beschlossen, dass wir da auch im hohen Alter nicht hingehören würden. Ein Plakat legte uns ein Appartement in der ‘Villa Sibilla’ ans Herz, das ‘ideale Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben voller kultureller Annehmlichkeiten’ bot. Na, das hatte ich doch auch zu Hause, dafür musste ich nicht nach Bad Neuenahr ziehen! Sehr ungewöhnlich für eine Konzertpause war übrigens, dass einige Leute die Zeit nutzten und schuh- und strumpflos, mit hochgekrempelten Hosen oder gerafften Röcken, im Kreis durch die Kneipp’sche Wassertretanlage liefen.
Es ging weiter, als sich der Pianist und Bandleader der SWR Big Band an den Flügel setzte und leise perlend ein neues Stück begann. Schlagzeug und Bass setzten ein und die Bläser kamen nach und nach zu ihren Instrumenten. Als alle saßen, setzten sie plötzlich völlig unerwartet zu einem kurzen, aber superlauten „WABABBB!!“ – Bläsereinwurf an und alle Zuschauer zuckten zusammen. Klasse! Die letzten Leute kamen aus der Pause (vermutlich die Wassertreter, die warten mußten, bis die Füße trocken waren), und dann kam Paul Kuhn auf die Bühne. Bläsersätze wie bei Sinatra, er griff zum Mikro und sang. Eine junge Stimme, nicht ganz so schön wie Sinatra, aber lässig und voller Swing und Jazz. Wow! Ich war schon wieder völlig weg und fand es nur klasse. Besonders ‘Night and Day’ mit Pauls lässigem Gesang und den wunderbaren Bläsersätzen der Big Band.
Danach wechselte Paul Kuhn zum Flügel und das war natürlich superspitzenklasse. Wunderbar perlend leicht und genau mit den richtigen Harmonien. Ich saß sofort wieder an meinem Tisch im Nightclub. Das letzte Stück des Blockes spielten Max Greger und Paul Kuhn ganz alleine. Es war langsam und sehr ruhig. Das Piano perlte, das Saxophon waberte und es war unglaublich, wie viel gefühlvolle Musik diese zwei Instrumente machen konnten. Es fehlte nichts und besser hätte man das nicht spielen können. Perfekt!
Max Greger und die SWR Big Band spielten drei Glenn Miller Stücke und ich wusste, dass auch Glenn Miller lächelnd zuhörte. Das war genau sein Sound! So hatte er es geschrieben und selber gespielt. Bei der ‘Moonlight Serenade’ traf mich die sentimentale Stimmung wieder voll und ich saß mit feuchten Augen und breitem Grinsen da. Den Schluss des Konzertes gaben die ‘Drei Legenden’, wie sie sich selber nannten, dann natürlich gemeinsam. Es war ein tolles Finale, in dem die Band, verschiedene Solisten und die drei Herren zeigten, was sie draufhatten.
Standing Ovation und die erste Zugabe. Paul Kuhns schmeichelnde Stimme, strahlende Bläsersätze, dreckiges Saxophon – ich versuchte alles in mich aufzusaugen, um es auch später noch irgendwie hören zu können. Was für eine supergute Musik! Wieder viel Applaus, Standing Ovation und eine letzte Zugabe. Die hatte allerdings einen langen Schluss, weil das Ende mit viel Spaß dreimal gespielt wurde. Nochmal viel Endapplaus und mittendrin eine strahlende Anette. Wer hätte gedacht, dass ein Kurkonzert so schön sein kann? Mit meiner in der Pause signierten CD (Ja, ich war den musikalischen Legenden ganz nah und sie sind sehr nett!) fuhr ich nach Hause und versuchte mir dabei, die aufgesaugten Töne ins Ohr zurückzuholen. Aber irgendetwas hatte ich da wohl falsch gemacht, denn ich hörte mich immer nur selber singen, was eindeutig nicht so beeindruckend war.
Hach, das Konzert ist eines meiner Jahres-Highlights! Vielleicht sogar eines der musikalischen Lebens-Highlights. „WABABBB!!!“
Nachtrag: Vier Monate später kam unerwartet Post von einer der Legenden, die den Bericht gelesen hatte. Ich war gerührt und freute mich sehr.