Prix Pantheon – 02.05.2001 – Bonn
Rainer Pause, Kurt Krömer, Marius Jung, Luise Kinseher, Basta, Horst Evers, ABBA jetzt!, Patrick Schleifer, Tom van Hasselt, Theater Türkis, Rolf Persch, Evi und das Tier und Hilde Kappes
Pantheon, Bonn
Der Prix Pantheon ist eine spannende und vergnügliche Geschichte. 12 Künstler aus den Sparten Kabarett, Chanson, Comedy und A-cappella zeigen Ausschnitte aus ihren Programmen und versuchen damit, den Publikums- oder Jurypreis zu gewinnen. Die Reihenfolge wird ausgelost, und an zwei aufeinanderfolgenden Abenden treten jeweils sechs Künstler auf. Am Ende des zweiten Abends werden die Ergebnisse der Bühnenolympiade bekannt gegeben.
Es ist natürlich nicht einfach, den besten Vortrag aus so unterschiedlichen Programmen zu bestimmen, bringt aber viel Spaß. Während die 14 Profi-Jury-Mitglieder (in diesem Jahr u.a. Rita Baus, Nina Hoger, Arno Steffen, Heinrich Pachl) den Preis “Frühreif und Verdorben” vergeben, wählt das Publikum den Gewinner von “Beklatscht und Ausgebuht”. Am Vortag hatte, außerhalb des Wettbewerbes, Dieter Hildebrandt den Sonderpreis “Reif und Bekloppt” erhalten.
Ich fand die Idee des Prix Pantheon ganz wunderbar. 12 Künstler oder Gruppen zeigten einen Schnupper- Ausschnitt und ich konnte mir nebenbei vormerken, wen ich davon gerne in seinem kompletten Programm sehen würde. Tom van Hasselt, Horst Evers und Basta hatte ich schon live gesehen, von den anderen wusste ich ‘eher weniger’ bis ‘überhaupt nichts’.
Der Abend im Pantheon begann für mich mit Staunen. Irgendwie hatten sie es geschafft, Stühle, Tische, große Kameras, Handkameras, vierzehn Juryleute, die verschiedenen Künstler und sogar noch Publikum in das kleine Theater zu bekommen. Die Bühne sah mit transparenten, schön beleuchteten Rundvorhängen sehr festlich aus. Zufrieden konnte ich mich auf meinem Stuhl zurücklehnen und alles neugierig auf mich zukommen lassen. Immerhin war das erste Geheimnis gelüftet: Die Reihenfolge der Auftritte stand fest.
Als Moderator kam dann nicht Rainer Pause, sondern Fritz Litzmann. Rainer Pause spielt Fritz Litzmann so gut, dass ich manchmal nicht sicher bin, wer von beiden eigentlich der Echte ist und wer sich verkleidet. Die Moderation machte jedenfalls Herr Litzmann in seiner hektischen, armfuchtelnden, nervösen Art. Er predigte Toleranz, auch für Leute, die nicht aus Bonn kommen, und leitete damit zum ersten Künstler über.
Es kam Kurt Krömer aus Berlin, ein schmaler, bebrillter, junger Mann, dessen Hose und Anzugjacke viel zu weit um den Körper schlackerten. Die Haare standen wirr nach oben und mit seinem freundlichen, etwas eingefrorenem Lächeln wirkte er, als wäre er geistig knapp an der Hilfsschule gescheitert. Mit hoher, dünner Stimme und leichtem Berliner Dialekt erzählte er von sich und seinem heutigen 27. Geburtstag. Er erwartete Geschenke vom Publikum und wurde sauer, als er nichts bekam. Schließlich pöbelte er sogar das “Technikerpack” bei Kamera und Ton an, die ihrerseits mit einer starken Tonverfremdung seines Mikros reagierten, was ihn kleinlaut werden ließ.
Mit sanfter Stimme erzählte er dann über TV-Programme und warum er seinen Fernseher aus dem Fenster geworfen habe. Das Publikum hörte aufmerksam zu, lachte auch, aber Kurt Krömers Erzählung war doch ein wenig hakelig. Er hatte es natürlich schwer, so als erster Programmpunkt, und er hatte nur eine begrenzte Zeit, um dem Publikum seine Figur nahe zu bringen, aber ich befürchte, er wäre auch als Letzter im Programm nicht so überzeugend gewesen. Richtig rund war die Nummer noch nicht.
Der nächste war Marius Jung aus Köln. Die Hautfarbe milchkaffeebraun, die Haare schwarz, und er machte sogleich grinsend klar, dass es trotz seines Aussehens keine Ethno-Nummer geben würde. Stattdessen berichtete er von den Jugendmessen der 70er Jahre, – “da brannte die Luft!” – und stimmte auf einer alten Gitarre “Danke, für diesen guten Morgen” an. Sehr schön, weil er dabei ständig Pausen machen musste, um sehr sorgfältig und mit Blick auf das Griffbrett den nächsten Akkord zu greifen.
Um die Kirchen heute wieder vollzukriegen, schlug er Dankes-Messen für verschiedene Gruppen vor. Das führte er auch sofort sehr charmant und überzeugend mit Musikbeispielen vor. Für LKW-Fahrer im Gunther-Gabriel-Trucker-Stil, mit Karnevals-Musik für die Kölner im Dom – “No d’r Messe jonn mer jet esse …”- oder als Boygroup – “Können Sie mal so kreischen wie zwölf- bis vierzehnjährige Mädchen?”
Neben der sehr guten Darstellung mit ausgeprägter Mimik und viel Körpereinsatz konnte er auch noch wirklich toll singen! Es machte sehr viel Spaß zuzuhören, und besonders sein Abschlusslied, in dem er wie in einem Werbesong fast ein komplettes Supermarktangebot schmuseweich besang, war klasse. Am Ende seiner 20 Minuten gab es sehr viel Gejohle und Applaus, und ich setzte ihn sofort auf meine ‘Da-muss-ich- unbedingt-mal-hin-Liste’. Überzeugend kurzweilig und gut.
Wie immer in den Umbaupausen kam Fritz Litzmann auf die Bühne und diesmal lobte er die Leute, die sich Notizen machten. Ich war anscheinend nicht die einzige. “Das ist vorbildlich. Aber nicht vom Nachbarn reingucken lassen!”
Die einzige Frau des Abends, laut Fritz Litzmann eine ‘Minderheit’, die zudem froh sein könne, auf die Bühne zu dürfen, da Frauen das erst seit 150 Jahren machen dürfen, war Luise Kinseher aus Bayern. Sie erzählte, dass sie beim Fernsehen sei und war sehr stolz auf ihre 175. Rolle als Leiche. “Bei ‘Titanic’ ist man ja nur eine unter viele, aber so am Anfang vom Tatort …”
Mit Brille und Mantel sah sie dann plötzlich 15 Jahre älter aus und wartete vor einer Raststätten-Toilette auf ihren “Heinz”. Da sie kurz vorher einen Fund auf der Damentoilette gemacht hatte – “Heiiiinz, bei Damen liegt eine Leiche!” Sie sinnierte über die eigene Beerdigung und erzählte, dass der Leichenschmaus für sie und ihren Heinz schon vorgekocht in der Tiefkühltruhe läge. Makaber, witzig und doch sehr lebensecht. Erschreckend überzeugend. In der letzten Rolle war sie dann eine Kommissarin, die den Fall untersuchte. Ätzend weiblich, leicht durchgedreht und in dieser übertriebenen Darstellung sehr zum Lachen. Es gab viel Applaus für sie.
Nach einer kurzen Pause war die Gruppe BASTA aus Köln dran. Am Begrüßungs-Jubel des Publikums konnte man merken, dass viele Fans im Saal saßen. Kleiner Heimvorteil also, aber das ist ja normal, wenn eine Veranstaltung im Nachbarort stattfindet. Sie starteten mit einer witzigen Kombination aus Beatles, Buena Vista Social Club und James Bond und bekamen viel Applaus. Besonders die gut eingeübte Choreographie wirkte auf der kleinen Bühne und sah schön aus.
Danach “Er gehört zu mir” und “Satisfaction”, bei denen der Frontman aufdrehte und seine Show machte. Es war wirklich sehr witzig und passte gut in den Rahmen des Prix Pantheon. Lautes Gelächter im Publikum und viel gute Laune, weil das Zusehen Spaß machte. Im Mitsingteil bei “Bindungsangst” wurde das Publikum gefordert, und es war ein wirklich guter Auftritt, der am Ende viel Applaus und Gekreisch bekam.
Nächster war Horst Evers aus Berlin. Ein ruhiger Mensch, der ohne viel Aufwand fast normale Texte liest. Ich hatte ihn beim Kabarettfest im Pantheon schon gesehen und war ein ganz großer Fan. Er trifft genau meine Humorschiene und ich finde seine Sachen zum Schieflachen. Allerdings ist er leicht gewöhnungsbedürftig, darum war ich mir nicht sicher, ob er seine Art in 20 Minuten überzeugend vermitteln konnte.
Einleitend erklärte er ernsthaft, warum er seine Texte liest und nicht auswendig lernt. “Ich hab nun mal in der Jugend die Ausbildung zum Lesen gemacht”. Dann begann er mit dem ersten Text und schon bei der Stelle: “Frühling ist ‘ne schöne Sache. Ich bin auch dafür, dass das weitergemacht wird”, gab es das erste glucksende Gelächter im Publikum. Das steigerte sich dann. Es gibt ja ganz viele Arten von Lachen im Theater. Bei Horst Evers war es das tiefe, nach-Luft-schnappende Lachen, das unten aus dem Bauch kommt. Immer mehr Leute hingen schräg auf den Stühlen und konnten mit dem Lachen nicht mehr aufhören. Im Gegensatz zu Horst Evers, der völlig ernst guckte und mit ruhiger Stimme weiterlas.
Mir liefen die Lachtränen aus den Augen. Dieser Humor trifft mich im Innersten und macht mich fertig. Dabei kannte ich fast alle Sachen schon, weil ich ein Buch von ihm habe. Egal. Es war superwitzig und seine Story über den Appendix und seinen Krankenhausaufenthalt war spitzenmäßig. Als am Ende seiner Geschichte plötzlich Fritz Litzmann neben ihm stand, guckte Horst Evers ganz erstaunt hoch und fragte verwundert: “Schon fertig?” Leider ja. Es gab donnernden Applaus für ihn und ich freute mich riesig, dass er so gut angekommen war. Ein absolut toller Programmpunkt, der das Publikum begeisterte.
Letzte Gruppe des 1. Abends war ABBA jetzt! . Ein Flügelspieler und zwei Sänger, alle in Fräcken, brachten Abba-Hits oder das, was nach der Bearbeitung davon übriggeblieben war. Mit Trauermiene sangen sie sehr getragen “SOS”, wurden plötzlich temperamentvoller und tobten sogar kurzzeitig über die Bühne, um dann erschreckt in die Beerdigungsstimmung zurückzufallen. Vom ruhigen dreistimmigen Gesang, über HipHop, bis zur Luftgitarren- Performance gab es alles und ich fand es sehr augenzwinkernd witzig.
Als einer der Sänger in einem emotionalen Ausbruch bekannte, dass das nicht sein künstlerisches Niveau sei, grölten sie plötzlich alle rammsteinmäßig los, tobten über die Bühne und durchs Publikum und es gab viel Gelächter über die Show. Die Klassik traf den Pop, als der Bariton Hermann Prey mit dem säuselnden Bob Dylan sang, und ich fand es sehr vergnüglich. Könnte ich mir mit Spaß einen Abend lang antun, ist voller Unsinn, aber nichts für wahre Abba-Fans. Abba jetzt, eben.
Fritz Litzmann kam ein letztes Mal mit allen Darstellern auf die Bühne und es gab Gejohle, Geklatsche und Getrampel für den Gesamtabend. Viel Applaus für die Darsteller und gute Laune auf allen Seiten. Für die Zuschauer blieb dann nur noch die erste Abstimmung. Jeder hatte einen Zettel, auf dem er einen Teilnehmer des ersten Abends als Sieger ankreuzen konnte. Das war natürlich schwer, denn ich persönlich hätte gerne abgestufte Punktzahlen vergeben. War ja nicht nur einer gut. Aber hier galt GANZ oder GARNICHT und ich musste mich entscheiden.
Meine geheime Wahl fiel auf Horst Evers, obwohl ich Marius Jung auch sehr gut fand. Da ich das Ergebnis zu diesem Zeitpunkt noch nicht kenne, kann ich hier mal eine Prognose der Wahl des ersten Abends aufstellen. Mal sehen, ob ich komplett danebenliege. Meine eigene Reihenfolge wäre: 1. Horst Evers, 2. Marius Jung, 3. Basta.
Am folgenden Abend ging es mit dem zweiten Teil weiter. Im Zuschauerraum gab es viele vertraute Gesichter, da ein Großteil der Leute Karten für beide Abende hatten. Hielt ich auch für sinnvoll, denn nur dann war eine Beurteilung des endgültigen Wahlergebnisses möglich. Die Bedienung freute sich ebenfalls: “Ich habe die gleichen Bestellungen wie gestern!”
Zum Anmoderieren und Anheizen kam zunächst wieder Fritz Litzmann auf die Bühne. In seiner unnachahmlichen Art erklärte er, dass Lachen wie Niesen sei und ohne große Überlegung einfach raus müsse. Beim Überlegen, warum man lache, könne das Lachen sonst im Halse stecken bleiben. “Also einfach raus damit!” Das hatten wir auch vor.
Erster Kandidat war Patrick Schleifer. Er hatte einen grellen, lila-grün-gelben Pullover an, dem man den hohen Kunstfaseranteil unangenehm deutlich ansah. “Ist aus Plaste”, erklärte er stolz in starkem sächsischen Tonfall. Dann führte er einen ‘Bob-Schloger’ vor. Sein ‘Gumbel’ Bernd begleitete am Keyboard, und Patrick Schleifer sang zur Melodie von “These boots are made for walking” ein Loblied auf seinen Pullover. Zuschauer-Mitsing-Zeile: “Isch find den Bulli wundrbor”. Klappte nicht sofort, dann aber gut.
Nach einem Schlenker zum Thema ‘erogene Zonen’, der etwas lahm war und trotz des schlüpfrigen Themas nicht sehr belacht wurde, gab es ein weiteres Lied, bei dem auch Bernd mitsang. Ganz ohne sächsischen Akzent, aber nicht besser. Auf die Feststellung: “Ich weiß jetzt auch nicht, was ich noch machen soll.” Kam der (abgesprochene?) Zuschauerruf: “Ausziehen!”, der endlich wieder lautes Gelächter hervorbrachte. Leider setzte Patrick Schleifer das dann auch in die Tat um.
Er machte es von den verklemmten Bewegungen her ganz lustig, aber ich hoffte, die Zeit wäre um, ehe er fertig wäre. Nichts gegen nackte Männer, aber nicht so! Schuhe, Jeans, Socken und Boxershorts mussten ihren netten Platz verlassen und am Ende stand Patrick Schleifer in schlotternder Feinripp-Unterhose und Pullover da. Naja. War nicht witzig genug und ich fand’s eher überflüssig. Das Niveau konnte nur besser werden, aber dann wurde es gleich zu hoch.
Tom van Hasselt brachte Ausschnitte aus seinem Programm “Jenseits von Tuten und Blasen”. Ich war sehr nervös und drückte ihm fest die Daumen, war aber auch besorgt, weil er eigentlich zu anspruchsvoll für diese Veranstaltung war. Er spielte “Ich wär gern ein Star” und legte danach mit einigen seiner Wortspielereien los. Das Publikum hörte aufmerksam zu, war aber auf diese Art von feinem Humor nicht eingestellt. Für diesen Abend war es zu schwer. Bei “Hinter dem Mond” wurde ruhig zugehört und es klang wunderschön, war aber natürlich nichts comedyartiges zum Lachen.
Erst bei den “Philosoffen” kam zögerndes Lachen auf und die Stimmung steigerte sich. Aber da war der Auftritt schon zu Ende. Für einen Spaß-Comedy-Abend war Tom van Hasselt überqualifiziert, würde ich sagen. Ein schöner Auftritt, aber er passte nicht in den Rahmen.
Fritz Litzmann erwischte zwei Frauen in der ersten Reihe beim Quatschen und wies sie vorwurfsvoll zurecht. Aufpassen war angesagt, um nachher ordentlich wählen zu können.
Das Theater Türkis war als nächstes dran. Zwei Männer und zwei Frauen, alle türkischstämmig, fast alle in Deutschland aufgewachsen, zeigten in Szenen und Sketchen deutsch-türkische Konflikte. Dabei wurden mit Genuss alle Vorurteile verbraten und es gab einiges zu Lachen. Allerdings war es manchmal auch etwas langatmig und so ganz schien mir auch dieser Punkt nicht in den Verlauf des Abends zu passen.
Trotzdem war es lustig, und als deutsche Türken konnten sie einige Sachen spielen, die bei deutschen Darstellern nicht witzig wirken würden. Die Parodie auf einen türkischen Macho kann eben am lockersten ein Türke spielen. Es gab schönen Applaus, aber es war nur gut, nicht umwerfend.
Nach der Pause freute sich Fritz Litzmann endlich über einen Bonner, den in der Eifel lebenden Rolf Persch. Der stand leicht zerknittert auf der Bühne und trug mit theatralischen Gesten seine Gedichte vor. Immer wenn er den Kopf senkte, war das Gedicht zu Ende. Das Kopfsenken war nötig, da man in den meisten Fällen den Schluss sonst nicht erkannt hätte. Es gab Vierzeiler, Einzeiler und Undefinierbares. “Bleibt die Befriedigung eines gelungenen Stuhlganges. Oha – oho – wir müssen aufs Klo.”
Ich war kurz vor einem Lachanfall, weil ich es absolut dämlich fand. Kurz vorher hatte mich in Köln ein schwankender Herr mit Bierflasche in der Hand mit ähnlichen Sachen zugetextet, aber der hatte dabei nicht auf einer Bühne gestanden. Ich wartete gespannt auf ein lautes “Hurz!”, aber es ging nur weiter mit den Zeilen und Gedichten. Mir war klar, dass Rolf Persch seine Sachen sehr ernst nahm und sich etwas dabei dachte. Nur was? Ich konnte nichts damit anfangen und fand es superwitzig, dass es mir tatsächlich passierte, in einem Theater zu sitzen und mir das anzuhören. Na, wahrscheinlich bin ich nicht locker genug für diese Genialität oder einfach intellektuell unterentwickelt für Gedichte.
Der Flügel wurde wieder auf die Bühne gerollt und Evi und das Tier kamen auf die Bühne. Das Tier war in diesem Fall ein junger, sehr langer Pianist, der Evi, die rotgekleidet mit Federboa vor dem Mikro stand, am Flügel begleitete. Sie sang zart, süß, laut, jazzig wie aus den 40er Jahren in Amerika und der Pianist zog Grimassen und machte seine Show. Bei “Fever” wurde es ihm so heiß, dass er sich während des Spielens etwas entkleidete und sich so extrem rumlümmelte, dass der Handkameramann Probleme bekam, ihn aufs Bild zu bekommen.
Es war eine witzige Vorstellung, die mir ganz gut gefiel, aber ich weiß nicht, ob ich das einen ganzen Abend lang aushalten würde. Was sie an diesem Abend zeigten, war alles sehr ähnlich. Kam aber sehr gut beim Publikum an und wurde mit viel Applaus und Jubelrufen kommentiert.
Der letzte Auftritt des Abends war gekommen. Hilde Kappes von der Mosel wurde angekündigt, und Fritz Litzmann betonte, dass sie nicht so wäre, wie ihr Name. (Im Rheinland heißt der Weißkohl Kappes) Sie sah bunt und leicht flippig aus und sprach ihre Ansage lächelnd in einer Phantasiesprache, die an tschechisch und russisch erinnerte. Dazu klopfte sie Rhythmen auf ein langes Abflussrohr, und Sprache, Pausen, Gekiekse und Klopfen wirkten zusammen wie ein großer Klangteppich.
Ein Streitgespräch in fiktivem Japanisch, unterstützt von sparsamen Flügeltönen war auch ungewohnt, aber eindrucksvoll. Mit einem Effektgerät zusammen ließ sie ihre Stimme in einer Schleife (Loop) ablaufen, sprach oder stöhnte immer neue Geräusche dazu und war dabei wirklich kreativ. Hörte sich gut an, war für mich aber Spielerei. Klar macht so ein Loop Spaß, aber wenn man es kennt, ist es nur noch halb so spannend.
Ich hielt sie aber nicht für jemanden, der nur billige Effekte macht, sondern für eine typische Performerin, die mit Überzeugung aus allem Kunst macht. Sie wirkte voller Energie und ich nahm an, dass sie den ganzen Tag Sprache und Töne wirken lässt, auf alle möglichen Dinge trommelt und durchgehend Klangteppiche webt. Schön, aber anstrengend für die Umwelt. Sie konnte was, beeindruckte das Publikum, aber mein Fall war es nicht.
Der Mann neben mir (mein Gatte) war schwer enttäuscht. Seit gestern hatte er sich auf ihren Auftritt gefreut, weil sie im Programmheft ein starkes Dekolleté gezeigt hatte, und jetzt gab sie Geräusche von sich und spielte mit Effektgeräten. Ich flüsterte ihm grinsend zu: “Das ist doch die Frau mit dem super Ausschnitt.” Resignierte Antwort: “Manchmal ist ein Ausschnitt besser als das Gesamtprogramm!” Die meisten Zuschauer sahen das allerdings nicht so und applaudierten begeistert.
Damit waren die Auftritte des Abends beendet und es kam zur Wahl. Schnell kreuzten alle Zuschauer ihren Favoriten des Abends an. Ich wählte Tom van Hasselt, auch wenn ich ihm wenig Chancen auf den Sieg einräumte. Er hatte mir an diesem Abend von allen Beiträgen am besten gefallen, aber ich war natürlich parteiisch, weil ich sein komplettes Programm kannte und toll fand. Aber von den anderen fünf Kandidaten des zweiten Abends hatte mir keiner außergewöhnlich gut gefallen.
Bei meiner Siegerprognose für diesen Abend hatte ich ‘Evi und das Tier’ und ‘Hilde Kappes’ ganz oben stehen. Eine von beiden würde heute gewinnen, aber ob das von der Stimmenanzahl gegen die Vertreter des Vortages ankommen würde? Während die Stimmen ausgezählt wurden und die Jury ihre Preisvergabe im Hinterzimmer diskutierte, gab es im Theaterfoyer Suppe. Wahlweise Gulasch oder vegetarisch und beides sehr lecker.
In der langen Suppenpause, die ich nicht weiter beschreiben muss, kann ich ja mal eben ein Lob auf Rainer Pause loswerden. Er hat als Fritz Litzmann sehr kurzweilig und lustig die Umbaupausen überbrückt und dabei jedes Mal das Publikum zu Offenheit, Toleranz und viel Applaus motiviert. Er war spontan, reagierte auf das Publikum, gab nebenbei Informationen über die Darsteller ab und leitete geschickt zum nächsten Künstler über. Ein großes Vergnügen ihn zu sehen! (So, Suppe gegessen, es geht zur Preisverleihung.)
Fritz Litzmann kam auf die Bühne und zog grinsend einen Umschlag aus dem Jackett. Es ging um die Publikumswahl und damit um den Preis “Beklatscht und Ausgebuht” Eine quäkige, laute Fanfare zeigte den feierlichen Augenblick an und es war richtig spannend. Fritz Litzmann warf einen schnellen Blick auf den Zettel und feixte dann freudig: “Ich weiß es schon! Sie aber noch nicht!” Dann verriet er es. Der Gewinner und somit Publikumsliebling war Horst Evers! Juchuh! Ich freute mich sehr.
Es gab vom Publikum langen, lauten Applaus und begeistertes Getrampel. Horst Evers kam auf die Bühne und freute sich ebenfalls sehr. Er lobte die schöne konkurrenzfreie Atmosphäre hinter der Bühne und sprach die Unvergleichbarkeit der einzelnen Vorträge an. “Das ist wie bei der Leichtathletik. Einer läuft 100 Meter in 10,3 Sekunden, der andere springt 6 Meter 50 hoch. Wer hat gewonnen?” Dann nutzte er die Gelegenheit, kramte einen Zettel aus der Tasche, und sagte: “Jetzt ist es ja so, dass ich gestern nicht fertig geworden bin …” Das Publikum jubelte begeistert auf und er las er seinen letzten kurzen Text vor. Es gab wieder viel Gelächter, und die Wahl des Publikumssiegers schien genau richtig verlaufen zu sein.
Dann war der Jury-Preis “Frühreif und Verdorben” dran. Große Spannung im Publikum und bei den Kandidaten, außer bei Horst Evers, der wunschlos glücklich aussah. Fritz Litzmann öffnete den Umschlag und sagte: “Die Preisträgerin …” und damit waren natürlich die meisten Kandidaten, weil männlich, aus dem Rennen. “… ist Hilde Kappes!” Großer Jubel und ebenfalls viel Beifall für diese Entscheidung. Konnte ich unterstützen und akzeptieren, auch wenn mir persönlich ihre Darstellung nicht so toll gefallen hatte.
Zum großen Abschlussbild kamen nochmal alle auf die Bühne, es wurde voll und sah klasse aus. Viele fröhliche Gesichter, gute Laune, lauter Beifall und zwei sehr gute, nicht angezweifelte Siegerentscheidungen. Klasse! Im Foyer mischten sich danach Künstler, Jury, Freunde und Publikum und es gab ein eifriges Gratulieren, Umarmen und Unterhalten. Horst Evers wirkte völlig erschlagen von seinem Erfolg und ich freute mich sehr für ihn.
Ein Bild aber, das mir nicht aus dem Kopf geht, ist das von Kurt Krömer, dem erste Künstler des ersten Abends, der nicht besonders überzeugend gewesen war. Er stand ganz alleine an einem Tisch, schaute sich das Treiben still an, lächelte leicht, und keiner stand bei ihm. War vielleicht ein Zufall, aber er sah da so nett und einsam aus, dass ich eigentlich gerne mal hingegangen wäre, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Aber was sollte ich sagen? “Schön, dass du hier bist, auch wenn dein Beitrag nicht gut war” ? “Nächstes Mal klappt’s besser” ? „War super!“ wäre nicht wahr, und er wusste selber, dass es nicht super gelaufen war.
Ich bin gegangen und bekomme das Bild des netten, ernsten, einsamen Clowns nicht aus dem Kopf. Etwas, das neben dem Lachen und der Freude auch eine Erinnerung an den Prix Pantheon bleibt. Wenn nicht die berührendste.