Berichte

Rainer Pause, Martin Stankowski – Tod im Rheinland – 06.11.2000 – Erftstadt

Eine bunte Knochenlese
Kirche der Versöhnung, Erftstadt

Ein kalter Novemberabend. Der kommende Winter lag schon in der Luft und es nieselte leicht, als ich mit hochgestelltem Kragen fröstelnd zur evangelischen Kirche lief. Es war genau die richtige Stimmung für den “Tod im Rheinland”. Der Kirchenraum war dann aber warm, hellbeleuchtet und gemütlich. Allerdings zog ein offener Sarg im Altarraum sofort alle Blicke auf sich. Er stand leicht schräggestellt und war innen mit weißem Stoff ausgekleidet. Daneben war der Deckel hochkant an eine Säule gelehnt. Mein Blick fiel auf das unbehandelte Holz im Innenteil und ich stockte. Das war ja wieder typisch! Außen schön gebeizt und poliert, und innen sägeraues Holz und blöde Querverstrebungen. Sah aus wie vom Baumarkt. Kann ein Sarg nicht auch innen gemütlich sein? Wahrscheinlich war auch der seidig glänzende Stoff nur angetackert und piekte später ständig im Rücken! Also, wenn ich so was sehe, befürchtete ich das Schlimmste für meinen späteren Sargaufenthalt! (Meine Befürchtungen wurden bestätigt, als ich mir den Sarg später genauer anguckte. Sogar das Kissen war unten mit Metallnadeln zugetackert! Außerdem raschelte die Füllung entsetzlich. An Umdrehen im ewigen Schlaf war da nicht zu denken!)

Die Kirche war inzwischen voll, aber der Lautstärkepegel vor Beginn des Programms deutlich gedämpfter als bei anderen Veranstaltungen. Vorsichtiger Applaus, als die beiden Hauptakteure durch den Mittelgang nach vorne kamen. Martin Stankowski seriös, in rotem Anzug, völlig normal. Beim Anblick von Rainer Pause wurde die leicht bedrückte Stimmung allerdings deutlich entspannter. Er kam als Fritz Litzmann, sah lang und hager aus, trug einen dunklen, schlechtsitzenden Anzug, die Haare waren mit viel Gel nach hinten gekämmt und eine fürchterlich dicke Brille saß mitten im Gesicht. Das perfekte das Bild des spießigen Vereinsmeiers. Schön sah er wirklich nicht aus, aber das Publikum grinste und atmete auf. So schlimm konnte der Abend nicht werden! Schien ja doch was mit Humor zu sein!

Als Alters- und Ehrenpräsident des Heimatvereins “Rhenania” eröffnete Fritz Litzmann diese außerordentliche Sitzung und begrüßte die anwesenden Mitglieder und die Gäste des Vereines. Er dankte dem ortsansässigen Bestatter für den Sarg und kam immer wieder von seinen offiziellen Worten auf private Mitteilungen zurück. War ja schließlich ein Vereinstreffen, wo man sich untereinander kannte und nicht immer förmlich bleiben musste. Es sollte an diesem Abend um den Tod gehen (“…da kommen wir alle nicht dran vorbei!”), um Testamente, Schenkungen an den Verein und die Bestattung an sich.

Als Experten hatte er “Herrn Dr. Martin Stankowski” eingeladen, den Kölner Journalisten und Rheinlandhistoriker. Der übernahm auch gleich das Wort und referierte über Römer, Märtyrer und Reliquien, die besonders in Köln eine große Bedeutung hatten. Warum haben meine Geschichtslehrer es nie geschafft, auch nur annähernd so interessant zu erzählen? Das war kein „knochen“trockener Vortrag, sondern sehr lebendig erzählte Geschichte, die beim Zuhören Spaß machte.

Zwischendurch unterbrach immer wieder ein aufgeregter Fritz Litzmann und musste seine Meinung dazugeben. Er fuchtelte wild mit seinen unendlich langen Armen, redete in rasendem Tempo, verlor sich in immer neu angefangenen Sätzen, und ich bekam schon beim Zuhören eine deutlich höhere Pulsfrequenz und leichte Atemnot. Auch seine Mimik war faszinierend. Mal rang er mit offenem Mund nach Worten, war fassungslos, entsetzt oder auch sehr zufrieden mit sich. Alles faszinierend echt und überzeugend. Zusammen gaben die beiden ein sehr gutes Team ab, und der ständige Wechsel zwischen Information und Kabarett war sehr gut.

Und dann hielt die versammelte Vereinsgemeinde die Luft an, denn Fritz Litzmann kletterte etwas zögernd in den Sarg zum Probeliegen. Es war ganz still in der Kirche und alle Zuschauer streckten die Hälse, um nichts zu verpassen. Vorsichtig ließ Herr Litzmann seinen Kopf auf das Kissen sinken und blieb ganz ruhig liegen. Totenstille. Dann seine zufriedene Stimme: “Och, ist eigentlich ganz gemütlich. Könnt‘ ich noch ein zweites Kissen haben?” Die Anwesenden lachten erleichtert los. Ich persönlich war froh, dass er nicht noch den Deckel draufgesetzt haben wollte. Wahrscheinlich wäre ich vor lauter Luftanhalten aus der Bank gekippt. Aber ich hätte es ihm zugetraut!

Viel Applaus und erleichterte Gesichter am Ende, denn das Programm mit dem Thema ‘Tod’ war erfrischend leicht und unverkrampft. Es machte großes Vergnügen mit teilweise schwarzem Humor über Sterben, Leichen und Bestattungsformen zu hören und näher an Bereiche zu kommen, die man sonst gerne mal wegschiebt. Die fundierten Informationen von Martin Stankowski und die darstellerische Leistung von Rainer Pause machten den Abend zu einem sehr abwechslungsreichen, interessanten Erlebnis. Eine schöne Mischung von Ernsthaftigkeit und Witz.

Kann ich sehr empfehlen, besonders den Leuten, die eigentlich Angst vor dem Thema haben. So locker wie dort, kann man sonst nirgendwo drangehen!

Wer wollte, traf sich noch zum allerletzten Programmpunkt: Dem Freibier nach der Veranstaltung. Dort gab es dann die große Überraschung, denn Fritz Litzmann ging in die Umkleide und kam als Rainer Pause heraus. Das war wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hide! Aus dem älteren, hageren, hektischen Vereinsmeier mit langen Armen, Klätschhaaren und Kassenbrille war ein großer, schlanker, ruhiger Mann geworden. Die Reaktionen der Zuschauer waren klasse, denn kaum einer erkannte ihn. “Wo ist denn der Herr Pause? – WAAAAAS?? Der da??!” Oder “Nein, ich meine DEN Herrn Pause, der eben mit dem Herrn Stankowski gespielt hat!” Oder auch anerkennend, aber verblüfft: “Der sieht ja richtig gut aus!!”